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Wie wir zu Parasiten des digitalen Systems mutieren

Von Christian Schacherreiter   06.Dezember 2021

Technische Revolutionen verändern Gesellschaften grundlegend. Wer die vordigitale Ära noch erlebt hat, kann den rasanten Wandel aus eigenem Erleben schildern. Zu ihnen gehört der Autor und Literaturwissenschaftler Leopold Federmair, 1957 in Wels geboren, aufgewachsen in Sattledt, weitgereist und in Japan mehr oder weniger heimisch geworden. Federmair hat vier neue Essays veröffentlicht, im längsten beschäftigt er sich mit den Auswirkungen der Digitalisierung auf den Menschen.

Das Kernproblem der Digitalisierung sieht Federmair in ihrem hegemonialen Anspruch. Hartnäckig dringt sie in alle Lebensbereiche ein und unterwirft sie der Macht des Algorithmus. Digitale Medien präsentieren sich menschenfreundlich, so wie eine umsichtige Gouvernante. Sie beobachten unser Verhalten im Netz, registrieren unsere Kaufentscheidungen und Freizeitaktivitäten. Daraus erarbeiten sie eine Palette von Angeboten, die auf das jeweilige Persönlichkeitsprofil zugeschnitten sind.

Was unser Weltbild infrage stellen und unser Wohlbefinden stören könnte, ersparen sie uns. Schöne neue Welt? Nein, sagt Federmair, verhängnisvolle Gängelung! So werden wir dumme, kleine Könige von Algorithmus’ Gnaden. Das humanistische Menschenbild hingegen beruht auf der These, dass sich ein Mensch nur dann zur Persönlichkeit entwickelt, wenn er sich auch mit dem Ungewohnten und Irritierenden konfrontiert. Nicht zuletzt war es die Kunst, die für solche Verunsicherungen sorgte. Diese Funktion geht aber verloren, wenn das Kunstwerk nur mehr vom „Like“ des Konsumenten abhängt. Ähnlich verhält es sich mit der Bildung. Vordergründig mag es erleichternd sein, wenn Übersetzungsprogramme unsere Fremdsprachenkenntnisse ersetzen und Rechtschreibprogramme unsere orthografische Kompetenz. Die Kehrseite ist der Verlust an Selbstbestimmung. Wir geben sie an die Maschine ab, mutieren zu Parasiten des Systems.

Die Gefahr der Dauerironie

Leopold Federmair stellt die Frage, wie man sich als kritischer Mensch zur digitalen Hegemonie verhalten soll. Unter Intellektuellen, meint er, dominiere mittlerweile eine Art Dauerironie. Man ist zwar mit dabei bei Facebook, Google, Amazon & Co, aber aus wissend lächelnder Distanz. Das hält der Autor für eine unbefriedigende Scheinlösung. Der Essay – Federmair schreibt bewusst „Essai“ wie der große Montaigne – ist eine subjektive Textsorte. Dass „Parasiten des 21. Jahrhunderts“ dort und da auch zum Widerspruch provoziert, spricht für die Qualität des Buchs, ebenso wie die schöne Anstrengung des Verstehens, die dieser sprachmächtige Aufklärer seinen hoffentlich vielen Lesern zumutet.

Leopold Federmair: „Parasiten des 21. Jahrhunderts. Essais aus beiden Welten“, Otto Müller Verlag, 353 Seiten, 26 Euro

OÖN Bewertung:

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24. April 2024