Wenn das Leben einen Roman einholt
In "Es wird Zeit" begleitet die Autorin eine Krebspatientin
"Ich war nie eine Freundin der ausufernden und anstrengenden Recherche. Deswegen schreibe ich immer über das, was mir selbst widerfährt – oder was sich in der Reichweite meines Küchentisches abspielt", sagt Ildikó von Kürthy. Wie Kürthy ist ihre Heldin in dem aktuellen Roman "Es wird Zeit" über 50. Sie heißt Judith, ihre Freundin Anne hat Krebs, und bei ihrem Mann vermutet sie eine Affäre. Seit die drei Söhne ausgezogen sind, verbindet die beiden ohnehin wenig. Die Ereignisse stapeln sich übereinander, weil auch Judiths Mutter gestorben ist und sie in ihrem Heimatort ihre Jugendliebe Heiko trifft. Dieser Kerl will nicht bloß ihr Elternhaus kaufen, sondern auch alte, abgestandene Gefühle wecken.
Vorher aufräumen
Judith entscheidet sich, Anne auf ihrem Weg zu begleiten. Sie geht mir ihr zur Chemotherapie und teilt, was an Freude zu teilen übrig geblieben ist. Allerdings drängt das über Jahre Unausgesprochene und Verheimlichte zwischen Judith und Anne ans Licht. Wie kann man einem Menschen bedingungslos nahe sein, ohne ihm jemals die Wahrheit gesagt zu haben? Lieber doch zuerst emotional aufräumen. Nur so wird eine Verbindung belastbar.
"Bedauerlicherweise hat mein Leben dieses Buch eingeholt", sagt Kürthy. "Eine meiner allerbesten Freundinnen wurde sehr schwer krebskrank. Wir sind ihren schweren Weg gemeinsam gegangen, und sie hat mir erlaubt, mir ihre Krankheit für das Buch auszuleihen." Ob der schlechten Prognosen der Ärzte sei es unwahrscheinlich gewesen, dass diese Freundin das Buch noch lesen würde können, "aber ich bin glücklich, dass es noch möglich war. Ihr habe ich das Buch auch gewidmet. Heute lebt meine Freundin und es geht ihr gut – wie fein, dass diese Widmung keine Grabinschrift geworden ist, sondern die Hommage an einen lebendigen Menschen."
Ildikó von Kürthy spannt den Bogen des Buches noch ein bisschen weiter: zu jenen Ursprüngen, in denen ein Mädchen erfährt, ob es dieser Welt genügt. Diese Selbstbefragung sei ein rein literarisches Element. Sie selbst habe von ihrem Vater stets gehört, "dass ich das schönste Mädchen auf der Welt bin". Ihr Vater war der Aachener Pädagogik-Professor Tamás Kürthy, der von einem ungarischen Adelsgeschlecht abstammte. Zusatz von Kürthy unter schallendem Lachen: "Man muss dazusagen, dass mein Vater blind war – kein Witz."
Ildikó von Kürthy: "Es wird Zeit", Wunderlich Verlag, 384 Seiten, 20,60 Euro