Vergiftete Männlichkeit
Ein Stück Kriminalliteraturgeschichte ist Dorothy Hughes’ "Ein einsamer Ort", 1947 erstmals erschienen und nun neu aufgelegt.
Toxische Männlichkeit würde man wohl heute das Psychogramm von Dorothy Hughes’ Hauptfigur nennen, der sie vor 75 Jahren den Namen Dix Steele verpasst hat – ein Kriegsveteran, der sich nach dem "Gefühl der Macht, der Erregung und der Freiheit" sehnt, wie er es bei seinen Kampfeinsätzen im Krieg empfunden hat. Nur bei seinen Streifzügen durch das nächtliche Los Angeles meint er den Rausch des Fliegens, den Nervenkitzel zu spüren. Der ehemalige Jagdpilot stellt Frauen nach und es braucht nicht viel, dass er seiner Gewaltbereitschaft freien Lauf lässt. Er tötet aus Lust an der Jagd, aus einem Gefühl der Überlegenheit heraus und weil er sich von Frauen bedroht fühlt. Für Dix Steele sind sie alle "Betrügerinnen, Lügnerinnen, Huren".
Als Steele seinen alten Freund wiedertrifft, ist er nicht nur fasziniert von dessen schöner Ehefrau, sondern auch von dessen Beruf als Detective, zumal dieser an der Aufklärung einer Reihe von Frauenmorden arbeitet. Brub Nicolai ist ein Kriegsheimkehrer und -überlebender wie Steele, jedoch will er als Kriminalist dem Töten ein Ende setzen. Ein Katz-und-Maus-Spiel beginnt, das die Autorin den Leser aus der Erzählperspektive Steeles verfolgen lässt. Er wird jedoch nicht Zeuge seiner Gewalttaten, Hughes lässt den Leser vielmehr an seiner kranken Gedankenwelt teilhaben. Es ist ein Eintauchen in die Psyche eines Frauenhassers und Serienmörders, nüchtern und kompromisslos erzählt.
Dorothy Hughes – den wenigsten Liebhabern düsterer Kriminalliteratur dürfte der Name der 1993 verstorbenen Autorin geläufig sein. Dabei schrieb die 1907 geborene US-Amerikanerin 14 Romane, außerdem eine preisgekrönte Biografie über den Schriftsteller und "Perry Mason"-Erfinder Erle Stanley Gardner. 1950 wurde "Der einsame Weg" mit Humphrey Bogart in der Hauptrolle verfilmt. Der Atrium-Verlag hat Dorothy Hughes Vorlage nun wiederentdeckt, übersetzt von Gregor Runge. Es ist die (späte) Würdigung einer Autorin, die, wie die US-Schriftstellerin Megan Abbott in ihrem Nachwort findet, sämtliche US-Autoren von psychologischen Kriminalromanen beeinflusste. Das Besondere an Hughes’ "Der einsame Weg": Anstelle der für "Hardboild"-Krimis so typischen hartgesottenen Ermittler setzt sie auf starke Frauenfiguren. Der genretypischen "Femme fatale" bzw. braven Ehefrau werden neue, zusätzliche Rollen zugedacht. Sie sind es, die den komplexbehafteten Steele durchschauen – im Jahr 1947 mehr als unübliche Heldinnen.
Ein packender und aufwühlender Krimi-Noir.