Unmenschliche Datenkrake
Mit "Stasiland" hat die Australierin Anna Funder ein ungemein aufwühlendes und wichtiges Buch zum Unrechtsstaat geschrieben.
Es ist völlig unverständlich, dass in Deutschland 30 Jahre nach dem Mauerfall auf höchster politischer Ebene noch immer ernsthaft darüber debattiert wird, ob die DDR nun ein Unrechtsstaat war oder nicht. Spätestens die Lektüre dieses ungemein wichtigen Buches beseitigt jeden Anflug von Zweifel, denn es erzählt Lebensgeschichten von Menschen, die vom "Ministerium für Staatssicherheit" (MfS) zerstört wurden.
Da ist beispielsweise die tragische, ungemein bewegende Geschichte von Miriam, die als 16-Jährige ins Visier der Stasi geriet. Der aufgeweckte, freiheitsliebende und nicht angepasste Teenager wurde drangsaliert und inhaftiert und im jugendlichen Alter von den Stasi-Schergen gefoltert – mit nächtelangem Schlafentzug. Und im berüchtigten Gefängnis Hoheneck wurde sie mit einer Art "Waterboarding" begrüßt, das dort verniedlichend als "Willkommenstaufe" bezeichnet wurde.
"Das Bad war mit kaltem Wasser gefüllt. Eine Aufseherin hielt sie bei den Füßen, die andere an den Haaren", beschreibt die Autorin die dramatischen Minuten. "Dann tauchten sie sie wieder unter. Sie konnte nichts tun, und sie bekam keine Luft. Und hoch: ,Du Dreckstück. Du kleine Schlampe’. Und runter. Als sie hochkam und nach Luft rang, sog sie die Beschimpfungen mit ein. Sie glaubte, man würde sie umbringen."
Ehemann kam in Haft zu Tode
Damit war es jedoch leider nicht getan, denn es war bekannt, dass die kriminellen Häftlinge im Zuchthaus Hoheneck Vergünstigungen bekamen, wenn sie die politischen Häftlinge misshandelten. Und als wäre das nicht schon genug der Qualen: Ihr junger Ehemann Charlie kam 1980 in Stasi-Haft zu Tode, bis heute sind die Umstände ungeklärt. Offiziell hat sich der junge Mann erhängt. Miriam vermutet jedoch, dass er getötet wurde, etwa bei einem Verhör. Denn die Leiche bekam sie nie zu Gesicht.
Es grenzt an ein Wunder, dass sich Miriam trotz dieser Demütigungen und Drangsalierungen nach ihrer Haftentlassung wieder gefangen hat. Und es ist ein Glück, dass sie bereit war, Anna Funder ihre Lebensgeschichte zu erzählen. Schließlich sind es Geschichten wie diese, die dabei helfen können, dass so etwas nie wieder passiert.
Man kann sich bei der australischen Autorin gar nicht oft genug dafür bedanken, dass sie sich dieses wichtigen und kontroversiellen Themas angenommen hat – und zwar mit dem unvoreingenommenen, unverstellten Blick vom anderen Ende der Welt.
Und mit einer gehörigen Portion Frechheit: Um frühere Agenten der "Firma" treffen zu können, hat sie einfach in der Zeitung "Märkische Allgemeine" eine Annonce geschaltet: "Suche ehemalige Stasi-Offiziere und Inoffizielle Mitarbeiter zwecks Interview, Veröffentlichung auf Englisch, Anonymität und Diskretion garantiert". So konnte sie mit Tätern und Opfern sprechen, was dem Buch guttut.
Wer die DDR wirklich verstehen will, kommt an diesem Werk nicht vorbei. Es ist eines der besten und wichtigsten Bücher zum Thema.
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Wer den Stalinismus bzw. die ihm zugrundeliegenden Strukturen verstehen will, ist mit Büchern wie 1984, Animal Farm, Homage to Catalonia (von George Orwell) oder Erih Koš (Dosije Hrabak - Die Akte Hrabak), zum Beispiel, sicher besser bedient, als mit laienhaften aber wohlfeilen Aufklärungsversuchen einer Frau aus Australien.