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Roddy Doyles "Love": Ein Abend, zwei alte Freunde und unzählige Guinness

Von Lukas Luger, 06. November 2021, 00:04 Uhr
Roddy Doyles "Love": Ein Abend, zwei alte Freunde und unzählige Guinness
Für „Paddy Clarke Ha Ha Ha“ wurde Doyle mit dem Booker-Preis geehrt. Bild: Wood

Der "Commitments"-Schriftsteller huldigt Dublin, der Freundschaft und dem Gerstensaft.

Kann eine biergetränkte Nacht in Dublins Pubs eine Freundschaft retten? In seinem neuen Roman "Love. Alles was du liebst" erzählt der irische Man-Booker-Preisträger Roddy Doyle (63) die Geschichte der alten Spezis Davy und Joe, die über Frauen, Eltern und das Irischsein diskutieren. Bis ein trauriges Geheimnis ans Licht kommt.

OÖN: Wie lange spukte Ihnen die Idee für "Love" im Kopf herum?

Roddy Doyle: Darauf gibt es zwei Antworten. Ich arbeitete zwischen 1979 und 1993 als Lehrer für Englisch und Geografie an einem Dubliner Gymnasium. Vor einiger Zeit wurde die Schule geschlossen. Aus diesem Anlass wurde ein "Tag der offenen Tür" veranstaltet, zu dem Lehrer, Schüler und Eltern eingeladen waren. Als ich meine früheren Schüler beobachtete, war ich perplex, dass aus diesen Kindern plötzlich Erwachsene mittleren Alters geworden waren. Von Weitem sahen sie aus wie damals, doch als sie auf mich zukamen, wurde mir klar, dass die Zeit keineswegs spurlos an ihnen vorbeigegangen war. Wenn wir Menschen nicht mehr sehen, hören sie in unserem Kopf auf zu altern. Die Bilder von ihnen sind in der Zeit eingefroren.

Und die zweite Antwort?

2018 begann ich mit der Arbeit an einem Roman über zwei Männer, die sich lange nicht gesehen hatten. Wohin ich mit der Geschichte wollte, wusste ich aber nicht. Dann wurde meine Mutter krank. Sie war 92 Jahre alt und es war rasch klar, dass sie sich nicht mehr erholen würde. Die letzte Woche ihres Lebens verbrachte meine Mutter in einem Hospiz – dem selben Gebäude wie im Roman. Zur gleichen Zeit erfuhr einer meiner ältesten Freunde, den ich kannte seit ich zwölf war, dass er an einem Gehirntumor leidet. Er starb zwei Monate nach meiner Mutter. Es war eine andere Art von Trauer, die mich befiel.

In welcher Hinsicht?

Der Tod meiner Mutter war traurig und ich musste ihn verarbeiten. Aber sie hatte ein langes und erfülltes Leben – und ich war 60 Jahre alt, als es passierte. Der Tod meines Freundes war eine Tragödie. Ich hatte fix damit gerechnet, den Rest meines Lebens in der Gesellschaft dieses Mannes zu verbringen. Wir beide liebten Fußball, Musik und hatten eine lange gemeinsame Geschichte – und plötzlich war er weg. Im Dezember fühlte er sich schlecht, im Mai war er tot. Diese Erlebnisse zeigten mir auf, welche Richtung ich mit "Love" einschlagen musste.

Worin liegt der Reiz, über das Altern, das Sterben und das Langsamerwerden zu schreiben?

Es ist die simple Erkenntnis, auch über solche Dinge etwas sagen zu können und nicht in einer Zeit steckenbleiben zu müssen. In der Arbeit der größten Musiker, wie Nick Cave, Tom Waits oder Bruce Springsteen, zeigt sich ihr Alter. Sie werden stetig besser. Sie schreiben heute Lieder über den Tod und die Vergänglichkeit – und nicht mehr darüber, wie sie an der Seite einer feschen, jungen Frau über den einsamen Highway düsen. Verstehen Sie mich nicht falsch – älter zu werden ist furchtbar, aber es liefert gutes Material.

An einer Stelle heißt es: "Es gibt einen Grund, warum Männer nicht über ihre Gefühle reden. Es ist nicht einfach nur schwer. Oder peinlich. Es ist beinahe unmöglich. Die Worte sind einfach nicht da." Weshalb können Männer ihre Gefühle nicht artikulieren?

Männer meiner Generation wurden bereits als Kinder angehalten, nicht wehleidig und selbstmitleidig zu sein. Wer ein Problem hat und sich darüber beklagt, der ist kein richtiger Mann! Ich weiß nicht, ob dieses emotionale Embargo auch für Frauen zutrifft. Männer meines Alters reden jedenfalls nicht über ihre Schwächen, ihre Unsicherheiten und ihre Unfähigkeit, mit den Schwierigkeiten des Lebens fertigzuwerden. Dies wäre eine Bedrohung der eigenen Männlichkeit. Nur die starken, schweigsamen Typen können es zu etwas bringen, wurde uns eingetrichtert. Es gab in meiner Jugend auch im Fernsehen keine empfindsamen, weinenden Männer zu sehen. Außer in Komödien. Über diese Mauer des Schweigens zu klettern ist schwierig. Wären Davy und Joe jünger, wäre das Buch wahrscheinlich nur halb so lang geworden.

Alkohol spielt in "Love" eine zentrale Rolle. Haben Sie je mitgezählt, wie viele Pints Joe und Davy eigentlich trinken?

Im allerersten Entwurf des Buches hatten sie noch viel mehr zu trinken (lacht). Aber hey, es ist eine sehr lange Nacht und Davy und Joe sind Iren. Außerdem sitzen die beiden ja nicht an der Bar und bestellen ein Guinness nach dem anderen. Sie wechseln die Lokale, laufen herum und erleben einiges.

Ihr Debüt "Die Commitments" ist populärer denn je. Die Verfilmung gilt als zeitloser Klassiker, 2022 kehrt die Musical-Version auf die Bühnen zurück, auch der Roman verkauft sich weiter ausgezeichnet. Haben Sie eine Ahnung, weshalb die Geschichte einer Gruppe von Freunden, die eine Soul-Band gründet, den Test der Zeit so leicht bestanden hat?

Egal ob 1987 oder 2021 – der Wunsch junger Menschen, eine Band zu gründen, wird immer vorhanden sein. Außerdem: Soul-Musik ist zeitlos! Wenn Otis Redding singt, dann ist der Sound in keiner Epoche verhaftet, sondern einfach großartig. Ich war damals 27 Jahre alt, arbeitete als Lehrer und brachte den Roman im Selbstverlag heraus. Dass ich ein halbes Leben später noch über dieses Buch reden darf, kann ich kaum fassen.

Großes Erzählkino

Zwei Männer. Bier. Ein Gespräch, in dem vieles gesagt wird und noch mehr unausgesprochen bleibt. Roddy Doyles „Love“ (Goya, 352 Seiten,
22 Euro) ist ein einfühlsames Porträt einer Freundschaft, von der nicht fix ist, ob sie diesen Namen noch verdient. Großes Erzählkino.

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Autor
Lukas Luger
Redakteur Kultur
Lukas Luger
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