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Ein Buch über das Schreiben als Anleitung zum Glücklichsein

Von Peter Grubmüller   22.November 2019

Sind einer Romanautorin, die über das Schreiben schreibt, die Geschichten ausgegangen? "Nein, ich wollte etwas weitergeben, was ich seit mehr als 20 Jahren an der Filmhochschule in München unterrichte – dort leite ich den Lehrstuhl Drehbuch und kreatives Schreiben", sagt Doris Dörrie. Die Schriftstellerin und Regisseurin kann anpacken, was sie will, es gedeiht. Auch dieses Buch ist im September kurz nach Erscheinen auf den Bestsellerlisten eingeschlagen. Sie schaffe es, sagt Dörrie, jedem ihrer Seminarbesucher innerhalb von zehn Minuten das Schreiben beizubringen: "Das ist gar nicht angegeben, sondern das ist so."

Gewiss, es dauert länger als zehn Minuten, dieses Buch durchzuarbeiten, aber Arbeit ist es dann doch nie. Eher ein Hindurchgleiten durch die unverhüllte Weise, wie Dörrie nicht bloß eine Bedienungsanleitung potenzieller Autoren-Gehirne formuliert, sondern auch viel von sich selbst preisgibt. "Autobiografisch ist es auch deshalb geworden, weil ich ja vorturnen musste, was ich da meine", sagt Dörrie im Gespräch auf der Frankfurter Buchmesse. Und völlig unsachlich erwischt man sich selbst dabei, an den 64 Jahren der Regisseurin und Drehbuchautorin von "Mitten ins Herz", "Männer" oder "Kirschblüten – Hanami" zu zweifeln. Dörrie plaudert, scherzt, pfeffert ihre Botschaft mit uneitlem Witz – und das alles mit einer Rasanz, in der sich nirgends Anstrengung abzeichnet.

Zunächst geht es ums Werkzeug. Dörrie rät davon ab, sich zum Schreiben an den Computer zu setzen. Gut, also Stift und Papier, "weil die Hand wir selbst sind". Die zweite Empfehlung: Bloß nicht nachdenken, einfach drauflos, selbst wenn zunächst nur Schwachsinn raussprudelt. Und vor allem keinen Gedanken daran verplempern, was andere darüber sagen könnten – nichts davon sei zur Veröffentlichung bestimmt.

Arbeiten wie Proust – eh klar!

Marcel Proust habe auch so gearbeitet; er nannte diese Technik "mémoire involontaire", unwillkürliches Schreiben. "Was Proust kann, kann ich schon lange", schreibt Dörrie, aber das soll kein Ausdruck von Anmaßung sein: Es geht nicht darum, "besonders toll, inspiriert oder originell zu sein", sondern um die Schatzkiste des eigenen Lebens. Manches, womit Dörrie den Prousts von morgen die Räuberleiter hinhält, durchfließt des Lesers Gehirn, ohne Welle zu schlagen: Schreibe über einen Geruch, ein Kleidungsstück oder deinen Körper; über Vater, Mutter, erste Liebe. Die Aufgaben werden spezieller, wenn es ums Sterben geht oder um "Und dann"-Momente, in denen sich das Leben im Handumdrehen verändert hat: Wer war man davor, wer danach?

"Lesen Schreiben Atmen" darf auch als Einladung verstanden werden, sich selbst wichtig zu nehmen. Angefeuert zu diesem Buch habe sie auch die – wie Dörrie sagt –"Verplotung der Literatur". Es werde Erzählsträngen nachgejagt und auf Reflexion, auf Ausformung von Charakteren vergessen.

Mit ihrem eigenen Leben nimmt sie die immer noch Verzagten an der Hand: Dörries Elternhaus – voller Bücher und ohne Fernseher. Die Adoleszenz als die Schwester der Lüge, Pubertät und Verstellung, Eitelkeit und Scham. "Überall herrscht konspiratives Unglück."

Und dann diese Sequenz, zugänglich für jene, die beim Fühlen begreifen: "Meine Mutter verlor ihren Ehering in der Küche, und Jahrzehnte später tauchte er beim Umgraben eines Beetes im Garten wieder auf. Ich verlor meinen Mann. Und meine beste Freundin. Meinen Vater. Alles andere, was ich verloren habe, habe ich vergessen." Derlei Texte mag man nicht auf Anhieb fertigbringen, aber anzufangen lohnt sich.

Doris Dörrie: "Leben Schreiben Atmen – Eine Einladung zum Schreiben" Diogenes Verlag, 176 Seiten, 18,50 Euro.

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18. April 2024