Durch Kultur- und Zeitgeschichte mit Hermann Hesse
"Jetzt erzählen Sie ausführlich, dass Sie in all diesen Jahren stets mit einem Fuß im Konzentrationslager gewesen seien, und ich muss Ihnen antworten, dass ich nur jene Hitlergegner ernst nehmen könne, die mit beiden Füßen in jenen Lagern waren, nicht mit dem einen im Lager, mit dem anderen in der Partei." So schreibt Hermann Hesse 1946 an die Schriftstellerin Luise Rinser, die zuerst Lobgedichte auf Hitler verfasst hatte, ehe sie wegen "Wehrkraftzersetzung" verhaftet wurde.
Hesse, der nach dem Zweiten Weltkrieg von den USA demütigend ignoriert wurde, weil er – obwohl seit 1912 in der Schweiz lebend – als ein vor den Nationalsozialisten Davongelaufener galt, hat glücklicherweise üppig korrespondiert. In diesem sechsten Band der auf zehn Bücher angelegten Reihe seiner Briefe wird ein kultur- und zeitgeschichtlicher Schatz gehoben, der unter anderem auf die Gedanken von Thomas Mann, Robert Walser, Hesses Sohn Martin und Alfred Kubin reflektiert. Bei Kubin vergleicht der Literatur-Nobelpreisträger von 1946 etwa die Arbeitsweise der beiden beim eigenen "Buchstabenmalen und Versemachen" mit Kubins "Geburt der Blätter".
Mit dem Satz "Große Zeiten hinterlassen große Schutthaufen" kommentierte Hesse bereits 1941 die Siege der deutschen Wehrmacht über halb Europa, als das gesamte Dritte Reich narkotisiert feierte. Diese 717 Seiten wurden nicht nur für Literaturinteressierte gebunden, sondern für Menschen, die die Geschichte Europas verstehen möchten. (pg)
Hermann Hesse: "Große Zeiten hinterlassen große Schutthaufen – Die Briefe 1940–1946", Suhrkamp, 717 Seiten, 59,70 Euro