Künstlerleben im Waggon
Martin Zels lebt und arbeitet seit vier Jahren in einem Waggon in St. Nikola an der Donau – jetzt erschien sein zweiter Roman.
33 Quadratmeter klein ist der Waggon von Martin Zels – und trotzdem alles da, was er zum Leben braucht: Küche, Bett, Sitzecke, Dusche, WC, sogar ein Piano findet Platz. "Ich habe mich hier noch nie beengt gefühlt", sagt der 54-Jährige. Kein Wunder: Vor der Haustür wartet eine 15 Quadratmeter große Terrasse und davor jede Menge Natur, Blick auf die Burg Werfenstein und die Donau inklusive.
Vor vier Jahren verließ der Deutsche die Stadt Nürnberg, wo er ein Kindertheater leitete, verkaufte sein 140-Quadratmeter-Loft und ließ sich von einer Spezialfirma den Wohnwaggon nach seinen Wünschen bauen. Er hatte viel erreicht: Neben der Theaterleitung schrieb er Theaterstücke und Opern, komponierte Songs und spielte in einer Klezmerband. "Trotzdem fragte ich mich: War’s das?", sagt Zels. Seine Antwort lautete: Nein. So beschloss er, mit knapp 50 Jahren noch einmal neu anzufangen. Dabei erinnerte er sich an seinen Traum, einmal im Leben in einem Zirkuswaggon zu leben.
Durch Zufall fand er das Grundstück in St. Nikola an der Donau (Bezirk Perg), wo er schon oft den Maler Prasthan Dachauer besucht hatte. Doch was macht man als Künstler auf einem zwar schönen, aber einsamen Flecken abseits der großen Städte, wo mögliche Auftraggeber sind? "Es dauert, bis man sich in einem neuen Land ein Netzwerk als Künstler aufgebaut hat", gibt Zels zu. Bis Corona konnte er (fast) von seinen Projekten als Regisseur am Stadttheater Grein, Kompositionen oder Auftritten mit der Balkan-Band Metropolski Cirkus Orkestar leben – den Rest schoss der sparsam lebende Künstler aus Ersparnissen zu. Seit dem Lockdown spitzt sich die Lage mangels Auftrittsmöglichkeiten zu. Doch das Künstlerleben aufzugeben, ist für ihn keine Option: "Künstler sind die Seele einer Gesellschaft."
Ein Lichtblick ist sein zweiter Roman, "Die vorderen Hände", der gestern erschien. Darin begleitet er drei Künstler in ihrer brüchigen Existenz auf der Suche nach sich selbst: die Dirigierstudentin Karla, die Angst vor dem großen Orchester hat, den Koch Anton, der sein Lokal nach finanziellen Problemen an drei Freunde abtreten muss, und den Dichter Darius, der mit schrägen Ideen die Welt verbessern will. Beide Männer sind Karlas Liebhaber, alle drei steuern auf der Suche nach ihrer Bestimmung auf eine Tragödie zu …
Zels zeigt in dem Roman ein Gespür für Szenen, Dialoge, Figuren. Geschickt verwebt er die drei Protagonisten in eine spannende Handlung, mit einem Hang zu pointiertem Sprachwitz. Allerdings ist der Roman deutlich zu lang, manche Sequenzen sind verzicht- oder kürzbar. Fundamentale Szenen (zum Beispiel Karlas Dirigierprüfung) reißt der Autor dagegen nur an.
Für Zels sei der Roman eine Reflexion gewesen, wie die Kunst zum Künstler kommt – und umgekehrt: "Jeder Mensch muss seine Bestimmung finden, damit er aus seiner Kraft leben kann."
Martin Zels: "Die vorderen Hände", Braumüller-Verlag, 380 Seiten, 24 Euro
2018 ist er nach Struden gezogen, hat im Interview erwähnt, dass er in 2 Jahren oder vielleicht sogar früher wieder weg ist, weil seine Lebensgefährtin nachkomme. Die hat offenbar den Verlockungen widerstehen können und nun gammelt und morscht die nette "Holzhütte mit Rädern" aufgrund schleißiger Detailplanung sichtlich dahin, siehe erstes Foto im Artikel.
Der gute Alleswisser war offensichtlich noch nie beim Künstler zu Gast, sonst hätte er angebliches Gammeln wohl nicht mit dem blühenden Leben verwechselt, daß sich in und um den Wohnwagon des Autors tummelt.
Wahrscheinlich ist dem tatsächlich wenig schmeichelhaften Titelbild geschuldet, daß mit der Realität kaum etwas gemein hat. Für ein repräsentativeres Pressefoto hätte man sich durchaus etwas mehr Mühe geben können.
Das Buch selbst habe ich zwar noch nicht gelesen (es ist auf dem Weg zu mir), doch durfte ich bei einer Lesung des Autors im letzten Sommer schon einige Passagen aus dem neuen Roman genießen. Dem Gespür für Szenen, Dialoge und Figuren kann ich vollinhaltlich zustimmen. Drei vielschichtige Lebensgeschichten, verwoben zu einem spannenden Handlungsstrang, der in einer sehr zeitgemäßen Metapher kulminiert – und dabei immer der Kernthese folgend, dass wir Menschen nur die vorderen Hände für höhere Mächte sind, ein Ausdruck des Weltgeists.
Tolles Buch, Leseempfehlung!