"Sturm am Manaslu": Vergebliche Überwindung des Selbsterhaltungstriebs
Reinhold Messners neuer Kinofilm handelt von der kollektiven Aufarbeitung der Tragödie am Manaslu.
"Mutig bin ich ganz sicher nicht", sagte Reinhold Messner einmal. Ausgerechnet er? Der Extrembergsteiger, die als Erster alle 14 Achttausender bestieg? Er sei, ergänzte der 78-Jährige, allein wegen seiner Vorsicht am Leben geblieben. Aktuell läuft mit "Sturm am Manaslu" der neue Dokumentarfilm des gebürtigen Italieners im Kino.
Was Messner und vier Kollegen dafür taten, alle gegen 80, darf jedoch ohne Weiteres als mutig bezeichnet werden. Das Quintett, das er darin mit Wolfgang Nairz, Oswald Ölz, Hansjörg Hochfilzer und Horst Fankhauser bildet, kam nicht auf die Idee, noch einen bergsteigerischen Stunt zu wagen. Sie gingen ein seelisches Risiko ein, sich als Überlebende einer Tragödie zu stellen. 1972 starben auf dem nepalesischen Achttausender Manaslu, dem "Berg der Seelen", ihre Freunde Franz Jäger und Andi Schlick. Ein halbes Jahrhundert danach versammelte Regisseur Messner die Hinterbliebenen der Tiroler Expedition "junger Wilder" dafür auf Schloss Juval (Südtirol).
Basierend auf Archivmaterial, Gruppen- und Zwiegesprächen wird die Chronologie der Ereignisse plastisch, die das Vorhaben, den Manaslu über die schwierige Südwand zu bezwingen, in ein tödliches Unglück verkehrten. Ihre Erzählung legt die rasante Professionalisierung wie touristisch-ökonomische Erschließung des Bergsports (primitives Schuhwerk, ein einziger Wetterbericht pro Tag, unerschlossene Routen) wie die überzeitlichen Qualitäten ihres gewählten Lebensstils offen. Es geht um Umarmungen mit dem Tod, die einen wacher leben lassen, um ein Sicherheitsnetz, geknüpft aus Verantwortung füreinander, und dessen Brüchigkeit. Exemplarisch stehen hierfür Fankhausers Erlebnisse. Er stellte sich dem titelgebenden Sturm entgegen, um Franz und Andi zu suchen, und ging selbst beinah in den Tod. Wie Regisseur Messner sagt, siegt hier die Empathie über den Selbsterhaltungstrieb. Eine zivilisatorische Leistung, die nicht reichte. Fankhausers Schilderung wirkt heldenhaft und doch menschlich, das Unglück holt ihn seit 50 Jahren ein. Diese Ehrlichkeit verleiht dem Werk Stärke.
Dramaturgisch wäre weit mehr gegangen – an Perspektiven, Tiefe, Hintergründen (u. a. Karten). Es wäre von Vorteil, würde Messner hier Seilschaften mit erfahrenen Drehbuchautoren eingehen. Seine Geschichten und er als lebende Legende hätten es sich verdient.
Sturm am Manaslu: AUT 2022, 72 Min., Regie: R. Messner
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