"Ich habe die Verbitterung verstanden, allerdings wurde sie falsch kanalisiert"
Mit Schuberts "Winterreise" findet am 20. Juni das erste Konzert im Linzer Musiktheater nach dem Shutdown statt. Wie er die Corona-Zeit und die kulturpolitischen Diskussionen erlebt hat, hat Landestheater-Bariton Martin Achrainer die OÖNachrichten erzählt.
Am 3. März stand er als Graf Oberthal in "Le Prophète" zuletzt auf der Bühne im Musiktheater. Dass er am 20. Juni eben dort erstmals wieder auftritt, ist ein besonderer Moment – für ihn und sicher auch für das Publikum.
Mit welchen Gefühlen blicken Sie Ihrem ersten Konzert nach dem Shutdown entgegen?
Martin Achrainer: Ich freue mich wahnsinnig, dass wir jetzt wieder spielen können – noch dazu mit einer Produktion, die mir wahnsinnig wichtig ist, weil Schubert eine der tragenden Säulen meines Repertoires ist und der Komponist, mit dem ich mich neben Mozart am meisten beschäftigt habe und mich tief verbunden fühle. Selbst während des Shutdowns habe ich mich intensiv mit Schubert beschäftigt, diesmal mit der "Schönen Müllerin", ohne zu wissen, ob ich den Zyklus auf der Bühne singe. Mal schauen, ob er kommt. Dass ich mein Jahr mit der "Winterreise" eröffnen und beenden kann, freut mich sehr.
Die "Winterreise" führt durch die Einsamkeit. Durch welche Seelenwelten wandert ein Sänger, dem die Bühne abhandengekommen ist?
Zunächst war es eine Schocksituation, weil auch viele Konzerte außerhalb des Theaters weggebrochen sind. Ich bin in der luxuriösen Situation, hier fest engagiert zu sein. Aber zwei Drittel meines Jahreseinkommens stammen aus Konzerten im Ausland bzw. außerhalb des Theaters. Es ist mir viel Geld flöten gegangen. Doch ich bin nicht in der finanziellen Katastrophe versunken wie viele andere Künstler – auch große Namen, die sonst dick im Geschäft sind –, die stehen jetzt vor dem Nichts. In der zweiten Phase ist bei mir eine verordnete Entspannung gekommen. Es war eine Zeit der Besinnung und des Rückzugs. Schön war, dass ich sehr viel Zeit für meinen Sohn geschenkt bekommen habe, ich bin vor einem Jahr Vater geworden.
Herzlichen Glückwunsch!
Danke. Ich hätte nicht geglaubt, dass ich in meinem Leben noch einmal Vater werde. Das Schicksal hat mir freundlich zugewunken. Es ist ein großes Glück und eine große Freude.
Sie hätten heuer in Wagners "Parsifal" am Musiktheater gesungen, der auf 2021 verschoben wurde. Wie geht es Ihnen damit?
Das war sehr schmerzlich. Ich habe mich sehr lange sehr intensiv auf die Rolle des Amfortas vorbereitet. Ich habe bisher das schlankere Fach gesungen, war bei Mozart daheim, habe das Kavalierbariton-Fach bedient. Jetzt ins dramatische Fach reinzugehen, war sehr viel Arbeit, auch mit sehr viel Angst verbunden. Bisher war ich Sprinter, plötzlich habe ich umgeschaltet auf Marathon. Ich habe mit meinem Coach sehr lange daran gearbeitet. Und kurz bevor ich es zeigen konnte, war der Shutdown. Aber ich sehe es auch als Chance. All meine Partien sind ein bissl wie meine heiß geliebten Rohrnudeln: Der Germteig braucht Zeit, um aufzugehen. Jetzt bleibt er mal ein Jahr liegen. Amfortas ist meine dritte große Wagnerpartie. Wenn man mir früher gesagt hat, man muss in diese Rollen hineinwachsen, habe ich nie ganz verstanden, was dieses Hineinwachsen bedeutet. Jetzt ist es mir klar. Ich hätte das mit 30, 35 Jahren nicht tragen können, weder stimmlich noch mental. All diese Ebenen zu erfassen, braucht viel Auseinandersetzung mit dem Text und der Figur Wagners. Auch für das Publikum: Sich unvorbereitet in eine Wagner-Oper zu setzen, kann nur scheitern, man kann es nur furchtbar finden. Wagner zum Berieseln funktioniert nicht.
Wie blicken Sie in die Zukunft?
Partientechnisch weiß ich es nicht. Ich hoffe, dass meine Konzerte im Herbst in der Schweiz und in Deutschland stattfinden werden. Was sich bei mir immer mehr neben der künstlerischen Arbeit herauskristallisiert, ist die aktive Arbeit in der Pädagogik, die mir sehr viel Spaß macht. Und ich sehe, dass sie Früchte trägt: Ich habe doch schon einige meiner Studierenden an die Uni in Wien, ans Mozarteum oder an die Bruckneruni bringen können.
Wie haben Sie die Diskussionen um Kulturstaatssekretärin Ulrike Lunacek erlebt?
Ich habe die Verbitterung vieler Künstler verstanden, allerdings ist sie falsch kanalisiert worden. Man kann nicht die gesamte Schuld für das Problem, dass die freie Kunst die vergangenen Jahrzehnte vernachlässigt wurde, an einer Person festmachen. Wie auf Frau Lunacek hingehackt wurde, fand ich sehr unter der Gürtellinie. Sie ist auf verlorenem Posten gestanden und komplett alleine gelassen worden. Alle waren panisch, wie Hendln im Hühnerstall, und dann ist der Fuchs gekommen. Man hat sich mit der Kunst immer sehr gern geschmückt, aber wenn es um essenzielle strukturelle Probleme gegangen ist, hat man Leute hingesetzt, die keine Ahnung hatten. Das waren Versorgungsposten. Sich als Künstler politisch zu äußern, ist wichtig, es kommt nur leider sehr schlecht an. Wobei eigentlich die Künstler die Anzeiger sein sollten, wie gerade die gesellschaftspolitische Stimmung ist. Ich finde schon, dass die Kunst eine politische Verantwortung hat, Warnsignale abzugeben. Die Kunst hat das Sensorium dafür.
ZUR PERSON
Martin Achrainer, gebürtiger Tiroler, lernte Koch, bevor er das Max Reinhardt Seminar und ein Gesangsstudium absolvierte. Seit 2006/07 ist er am Landestheater Linz engagiert, wo der Bariton zuletzt Oberthal in Meyerbeers Oper „Le Prophète“ gab.
Musiktheater Linz: