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"Glaubt den regierenden Schwaflern kein Wort"

Von Peter Grubmüller, 18. Oktober 2019, 00:04 Uhr
"Glaubt den regierenden Schwaflern kein Wort"
In seinem neuen Buch „Arznei gegen die Sterblichkeit“ bedankt er sich in Geschichten für seinen Erfolg. Bild: ORF

Christoph Ransmayr ist einer der bedeutendsten deutschsprachigen Schriftsteller. Am 19. Oktober liest der literarische Weltenbummler im Stadttheater Gmunden aus seinem neuen Band "Arznei gegen die Sterblichkeit", der am 23. Oktober erscheint. Im Interview erzählt der 65-Jährige vom eigenen Älterwerden, den Gesichtern des Zeitgeistes und wie sich seine eigene Arbeitsweise im Laufe der Jahre verändert hat.

OÖNachrichten: Wie beschreiben Sie als Dauerreisender Heimat?

Christoph Ransmayr: Wer sich auf den Weg macht, um etwas über die Welt oder auch nur über seine nächste Umgebung zu erfahren, tut gut daran, nie zu vergessen, wo er herkommt und wohin er möglicherweise zurückkehren wird. Die Bilder oder Klänge, die er dabei in seinem Kopf und Herzen trägt und ihn mit den Schauplätzen seines Lebens verbinden, darf er ruhig alleine benennen. Er sollte sich dabei bloß hüten, das Vokabular jener Schwachköpfe nachzustottern, die in der Gefolgschaft nationalsozialistischer Barbaren Worte wie Heimat oder Heimattreue für ihr menschenfeindliches Gekläff missbrauchen. Solche Leute vergiften zuerst die Sprache, dann das ganze Land.

Wo waren Sie zuletzt – und was an möglicherweise literarisch Verwertbarem hat sich dort für Sie ereignet?

Ich habe zuletzt im Grenzgebiet zwischen Uganda, Ruanda und dem Kongo nach den Blutspuren des europäischen kolonialen Auftritts in Afrika gesucht. Ob und in welche Erzählung meine Nachforschungen einfließen, wird sich noch zeigen.

In "Cox oder Der Lauf der Zeit" haben Sie sich und Ihre Leser mit dem Beherrschen der Zeit und der Relativität der Unendlichkeit befasst. Welche Ihrer Lebenszeiten war bisher die beste?

Ich bewerte meine Lebensabschnitte nicht nach den Kategorien einer Hitparade. Schon ein einziger Tag des Lebens kann schließlich Momente größten Glücks und der Verzweiflung enthalten.

Mit dem Zeitgeist scheinen Sie so gut wie nichts zu tun zu haben – oder gibt es da die eine oder andere Neigung, in der Sie ihm verfallen?

Der sogenannte Zeitgeist manifestiert sich in jeder Kultur, jeder Gesellschaft und jeder sozialen Schicht anders. Dem einen und unverwechselbaren Zeitgeist bin ich noch nicht begegnet. Wenn etwa teure, in Fetzen gerissene oder gelöcherte Designerjeans oder wuchernde Tattoos Zeitgeistzeichen sein sollen, wende ich mich lieber jenen Menschen zu, deren zerrissene Kleidung Zeichen ihrer Not sind oder denen, deren Tattoos ihrer religiösen oder spirituellen Tradition entsprechen.

Sie tauchen in keinen sozialen Netzwerken auf, Sie wirken insgesamt analog. In welchen Bereichen kann Sie die Digitalisierung dennoch verführen?

Die Digitalisierung als Instrumentarium, eingesetzt in Notebooks, Kameras oder der Nachrichtenübermittlung, ist in der Darstellung und Gestaltung von Erfahrungsmaterial, Recherchen, Gedanken höchst nützlich – ich würde nur zur Not wieder zur Schreibmaschine zurückkehren –, ist aber keine Verführung.

Sie sind 65, wie erfahren Sie das Älterwerden als Befreiung, wie als Demütigung?

Demütigung? Dann wäre das letzte Ende, der Tod, ja die größte Schande im Leben eines Menschen. Der Lauf der Zeit bringt nicht nur Beschwerden, sondern lässt – ähnlich wie auf einer Reise – vieles abfallen und zurückbleiben, was eben noch von großer Wichtigkeit erschien. So beginnen in diesem oder jenem Fall der Sorgenwelt mit den Jahren Gewichte nicht nur zuzunehmen, sondern auch zu verfliegen.

Hat Ihnen Erfahrung ein größeres Vertrauen in Ihre Arbeit beschert – oder vergrößert Erfahrung eher Misstrauen und Zweifel?

Mit wachsender Erfahrung der Welt nimmt auch die Zahl der Möglichkeiten zu, ihre Formen und Erscheinungen zur Sprache zu bringen. Und je wacher und aufmerksamer der Blick wird, mit dem sich ein Erzähler den Menschen zuwendet, desto klarer zeigt sich auch, dass jedes Dogma ein Verbrechen gegen die Vernunft ist. Zweifel an scheinbar unumstößlichen Wahrheiten oder auch an überkommenen Methoden des Erzählens, sind kein übellauniges Misstrauen, sondern ein – um wieder einmal mit dem Philosophen Hegel zu sprechen – Fortschritt im Bewusstsein der Freiheit.

Wie hat sich Ihre literarische Arbeitsweise im Laufe der Jahre verändert?

Sie ist möglicherweise noch langsamer geworden, weil nur ein kleiner, sehr kleiner Teil des Gesprochenen, Gedachten, Erzählten auf dem Papier oder dem Bildschirm Bestand hat. Der allergrößte Teil ist dagegen eine Art Ozean, der auf einem winzigen Floß jene Sätze trägt, die sich bis in die Endfassung einer Geschichte retten können.

Wie denken Sie über die von Klima-Aktivisten angestoßene Debatte über die Arten des Reisens? Hat das auch in Ihnen etwas in Gang gesetzt – oder eine alte Praxis verändert?

Im Augenblick scheint ja der Flugverkehr an oberster Stelle der Verfluchung zu stehen, obwohl die Fliegerei nur einen kleinen Teil der globalen Klimaverbrechen ausmacht. Von mir aus könnte der Weiterbau von Autobahnen eingestellt, könnten Kurzstreckenflüge verboten, autofreie Tage eingeführt, PS-Beschränkungen für alle PKWs verhängt, Schwerlastfahrzeuge bis auf unvermeidliche Ausnahmen abgeschafft und allein die öffentlichen Verkehrsmittel, vor allem die Eisenbahn, ausgebaut und auf sämtlichen Ebenen bevorzugt werden. Ich habe auf meinen Reisen alle zur Verfügung stehenden Verkehrsmittel je nach Notwendigkeit von Flugzeugen bis hin zu Flößen, Kamelen, Pferdefuhrwerken, Elefanten, Grubenfahrzeugen und Materialseilbahnen benützt, bin aber stets und vor allem zu Fuß gegangen, auch über hunderte Kilometer. Daran werden nur meine körperlichen Fähigkeiten etwas ändern.

Warum haben Sie schon lange nicht mehr fürs Theater geschrieben?

Ich bin Erzähler, kein Dramatiker. Für das Theater habe ich nur zweimal und nur auf freundliche und nachdrückliche Einladungen, geschrieben – das Stück "Die Unsichtbare", bei den Salzburger Festspielen unter der Regie von Claus Peymann uraufgeführt, und die Tragödie "Odysseus, Verbrecher" für das Ruhr-Festival 2010. Meine Erfahrungen an der Bühne waren gut und schön, aber ich bestimme am Ende doch lieber alleine, wie und in welchen Kulissen meine Protagonisten auftreten. Am Theater bin ich als Autor nur einer von vielen Herren des Geschehens. In der Prosa bin ich mit meinen Gestalten allein.

In Gmunden werden Sie aus "Arznei gegen die Sterblichkeit" lesen. Welche Form von Unsterblichkeit haben die Helden dieses Textes im Sinn?

Wer sich durch einen Erzähler, einen Sänger oder Balladendichter in die Gestalt einer Geschichte verwandelt, wird dadurch natürlich nicht unsterblich, wird aber in den meisten Fällen länger im Bewusstsein der Menschen bleiben als das jeweilige physische Vorbild. Wo wären beispielsweise Odysseus, wo Richard III. ohne die Dichtungen Homers oder Shakespeares?

Sie erheben darin die Danksagung zur Erzählform …

Ich habe aus meinem Archiv von Geschichten, mit denen ich mich für Literaturpreise in Deutschland, Österreich, der Schweiz, in Frankreich oder Italien bedankt habe, drei ausgewählt, in denen – ähnlich wie in schriftlosen Gesellschaften – eine Erzählung als Währung verwendet wurde, mit der man für Lebensmittel, Nahrung, Kleidung bezahlte. Diese drei Danksagungen stellen den exemplarischen Gegenwert dar zu Preisgeld, Lorbeer und Applaus und werden als eine der Spielformen des Erzählens vorgeführt.

Wie waren Ihre erste Reflexe, als Sie von den Ergebnissen der Nationalratswahl erfahren haben? Und welche Schlüsse ziehen Sie daraus?

Einmal mehr hat sich gezeigt, dass der Durchschnittsösterreicher nicht klüger ist als ein beliebiger Bürger im übermächtigen Rest Europas, sonst wären die Wähler und Wählerinnen hierzulande nicht bereit gewesen, einen verkrachten Studenten von einiger Raffinesse, aber bescheidener Kompetenz in einer Art Fronleichnamsprozession und unter Jubelchören an die Spitze der Parteienlandschaft zu geleiten. Für dieses Land, in dem trotz vieler über den Globus verstreuten Bekannten und Freunden immer noch die meisten meiner Nächsten und Liebsten leben, scheint vor allem eine Empfehlung angebracht: Seid auf der Hut. Und glaubt den regierenden Schwaflern kein Wort. Denn auch dieses schöne, gelegentlich sogar blühende Österreich gedeiht nicht wegen, sondern trotz seiner Politiker.

 

Christoph Ransmayr

Er wurde 1954 in Wels geboren und wuchs in Roitham am Traunfall auf. Nach dem Benediktiner-Gymnasium in Lambach studierte Ransmayr von 1972 bis 1978 Philosophie und Ethnologie in Wien. Er schrieb als Kulturredakteur für verschiedene Zeitschriften (Geo, Merian, Transatlantik, Extrablatt), seit 1982 arbeitet er als freier Schriftsteller. Ransmayr lebt nach Jahren in West Cork in Irland wieder in Wien. Seine Werke wurden vielfach ausgezeichnet. Eine Auswahl: Solothurner Literaturpreis, Franz-Kafka-Preis, Hölderlin-Preis, Nestroy-Theaterpreis, Brecht-Literaturpreis, Böll-Preis und, gemeinsam mit Salman Rushdie, Prix Aristeion der EU.

Info und Karten
Ransmayrs Lesung findet am 19. Oktober (19.30 Uhr) im Stadttheater Gmunden statt. Karten unter Tel: 07612/7063011, www.festwochen-gmunden.at.

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Autor
Peter Grubmüller
Ressortleiter Kultur
Peter Grubmüller
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