Gefährlich faszinierend
Ein renommierter deutscher Arthaus-Regisseur würdigt einen Großen seiner Zunft mit dem Kinofilm "Enfant Terrible": Rainer Werner Fassbinder.
Warum soll ich mir das anschauen, wird sich jeder fragen, der nicht unbedingt zum Neuen Deutschen Kino der 70er und frühen 80er eine Dissertation verfasst hat. Er zweifelt zu Recht. Genauso muss es aber gestattet sein, Argumente für die Arbeit von Oskar Roehler ("Die Unberührbare", "Quellen des Lebens") über das "Phänomen" Fassbinder (1945– 1982) vorzubringen. Das beste Pro ist Roehlers Art des Erzählens. Sie funktioniert weder rein biografisch noch überhöhend, sondern ist eine beinharte Studie eines Menschen, wie man ihn auch heute dort trifft, wo es Geltungsräume gibt.
Zuckerbrot und Peitsche
Man will diesen Fassbinder – der frühere Burgtheater-Schauspieler Oliver Masucci – für seine Provokationen und Egoismen schlagen, so wie man ihn in seinen schwachen Momenten als Menschen erkennt, der Nähe sucht. Masucci ("Er ist wieder da") brilliert in jeder Facette. Perfekt hergerichtet, im typischen Fassbinder-Lederjackerl, untersetzt, mit leicht glänzendem Schweißgesicht. Ein Getriebener, der mit seinen Ehefrauen, Männerlieben sowie Darstellern schreit, sie triezt, dann verehrt und zerbricht, wenn er einen davon verliert, weil er ist, wie er ist. Roehler behauptet dabei nie, dass Fassbinder ein Genie war. Er stellt nicht einmal die Frage danach. Aber er gibt eine Antwort darauf, warum der an einer Überdosis Gestorbene unvergessene Werke schuf ("Die Ehe der Maria Braun", "Angst essen Seele auf"): Weil er in aller Vehemenz gegen Dagewesenes rebellierte und seine Sensibilität für soziale Gefälle perfektionierte. Ein elektrisierendes Werk über einen gefährlich faszinierenden Menschen. Dass seine in "Enfant Terrible" exquisit gestaltete Kulisse der Film war, spielt dabei gar nicht mehr die Hauptrolle.
Enfant Terrible: D 2020, 134 Min., ab morgen im Kino
OÖN Bewertung: