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Ein Dokument für die Entwicklung der Gotik

Von Peter Grubmüller   17.April 2019

"Das kunsthistorisch Bedeutendste an Notre-Dame ist das Gebäude selbst", sagt Lothar Schultes im Gespräch mit den OÖNachrichten. Der Kunsthistoriker und Sammlungsleiter des Oberösterreichischen Landesmuseums, der unter anderem bei der österreichischen Gotik-Kapazität Gerhard Schmidt (1924–2010) studiert hat, ist erleichtert, dass so gut wie alle Kunstwerke im Inneren des Gebäudes rechtzeitig in Sicherheit gebracht worden sein sollen. Schultes lobt den offenbar kenntnisreichen Umgang der Pariser Feuerwehr mit der Brandkatastrophe: "Jede andere Herangehensweise wäre fatal gewesen. Wenn man ein Gebäude, das zum Großteil aus Stein besteht, mit kaltem Wasser löscht, dann zerspringen die Steine. Und eine Löschung aus der Luft, etwa durch Hubschrauber oder Flugzeuge, hätte den Bau wahrscheinlich zum Einsturz gebracht."

Sofern man von einer klassischen Phase der Kathedral-Gotik sprechen könne, sei Notre-Dame deren zentraler Bau, sagt Schultes. Lediglich die Gotteshäuser von Amiens und Rennes kämen in die Nähe dieser kulturhistorischen Bedeutung.

Im Jahre 1163 erreichte Bischof de Sully, dass die auf römischen Tempelruinen auf der Seine-Insel erbaute "Notre-Dame de la Cité"-Kirche durch eine modernere, "Unserer lieben Frau" geweihte Kathedrale ersetzt wurde. Unter Ludwig VII. legte Papst Alexander III. den Grundstein des Gotteshauses, das 1345 fertiggestellt wurde.

Prunk, Pomp und sämtliche Edelmetalle der Kathedrale waren bereits während der Französischen Revolution (1789–1799) entfernt bzw. 1793 von wütenden Atheisten geraubt worden. In der Folge wurde das riesige Gebäude als Weinlager verwendet. 1804 setzte sich Napoleon I. in der Kathedrale selbst die Kaiserkrone auf und ließ sich erst danach vom Papst weihen.

Video: Die wichtigsten Informationen zum Brand von Notre-Dame im Überblick

Schranke der Kleriker

Die Lücken des Glanzes in der Ausstattung schloss erst Architekt und Restaurator Eugène Emmanuel Viollet-le-Duc ab den frühen 1840er-Jahren wieder. Unter seiner Anleitung wurden auch die 56 Chimären, die weltberühmten Fabelwesen, auf der Turmgalerie angebracht. Der aus Holz und Blei gefertigte Turm, der 93 Meter in die Höhe ragte und während des Brandes nun einstürzte, war ebenfalls eine Schöpfung von Viollet-le-Duc.

"Das Begeisternde ist, dass die gesamte Entwicklung der Gotik anhand der Skulpturen in der Kathedrale nachvollziehbar ist", sagt Schultes. "Einschränkend muss man sagen, dass die Revolution an der Königsgalerie der Westseite des Gebäudes leider bleibende Schäden angerichtet hat. Dort fehlen von sehr vielen Figuren die Köpfe."

Zwischen 1630 und 1707 wurde die Kathedrale beinahe jedes Jahr im Monat Mai mit einem neuen Gemälde beschenkt. Die wenigen der "Mays" genannten Werke, die sich noch in der Kathedrale befanden, sollen lediglich durch Wasserschäden ramponiert sein. Schultes bangt noch um den bedeutenden Lettner aus dem 14. Jahrhundert – die auch Doxale genannte Schranke, die "einst die Kleriker vom gemeinen Volk getrennt hat", sagt Schultes. Bisher seien für ihn keine Informationen darüber zu bekommen gewesen, ob dieser Lettner den Brand überstanden habe.

Die wichtigste Frage sei nun jene über den Zustand des Gewölbes. "Die Schäden im Stephansdom 1945 waren aber mit Sicherheit gravierender, und auch dort hat man eine Komplettrenovierung geschafft", sagt Schultes, der darüber staunt, wie Katastrophen imstande sind, Nationen zu einen. Schultes: "Wir haben ja auch die Erfahrung, wie das Heimatgefühl missbräuchlich verwendet wird. Aber es gibt gewisse Dinge, das können wie in diesem Fall auch Bauten sein, an denen sich der Heimatbegriff manifestiert. Genauso wie der Stephansdom, der das noch junge Österreich nach dem Ersten Weltkrieg geeint hat, und erst recht nach dem Zweiten Weltkrieg." In solchen Momenten sei sogar ein Kirchenhaus aus allen Religionsdiskussionen herausgehoben – und vor allem ein verbindendes Element.

 

Notre-Dame und ihre Kunstschätze

Als eines der großen Kulturdenkmäler des Kontinentes beherbergt Notre-Dame auch zahlreiche Schätze. Welche davon konnten gerettet werden, welche wurden ein Raub der Flammen?

Was von Notre-Dame übrig geblieben ist
Die Dornenkrone und andere Gegenstände seien im Pariser Rathaus untergebracht worden.

Dornenkrone: Aus christlicher Sicht am wichtigsten sind die Reliquien von Christi Kreuzigung. In Notre-Dame werden die Dornenkrone, ein Nagel und ein Splitter des Kreuzes Jesu aufbewahrt. Seit Ende des 19. Jahrhunderts umgibt eine Hülle aus Kristall und Gold die Krone. Die Dornenkrone und andere Gegenstände seien während des Brandes in Sicherheit gebracht worden und befinden sich nun im Pariser Rathaus, sagte Kulturminister Franck Riester. Ein großer Teil der religiösen, aber auch künstlerischen Schätze konnte laut seiner Aussage vor den Flammen gerettet werden.

 

Was von Notre-Dame übrig geblieben ist
Hunderte Jahre alte Kirchenfenster gingen zu Bruch. Das Foto zeigt eine der prächtigen weltberühmten Fensterrosen von Notre-Dame vor dem Brand.

Rosenfenster: Zu den Meisterwerken gehören die aus buntem Glas gefertigten Rosenfenster. Jenes im Querschiff ist mit etwa zwölf Meter Durchmesser eines der größten Europas. Die Rosenfenster der Kathedrale erzählen farbenprächtig Szenen aus dem Alten und Neuen Testament, darunter von der Heiligen Jungfrau Maria und Christi Auferstehung. Einige der Glasfenster – Genaueres war bei Redaktionsschluss noch nicht bekannt – sind aufgrund der Hitze geborsten, manche regelrecht geschmolzen. Die große, berühmteste Rosette mit ihren markanten Blautönen dürfte allerdings heil geblieben sein. Bei den anderen sei eine Rekonstruktion grundsätzlich machbar, zeigte sich der österreichische Kunsthistoriker Günther Buchinger überzeugt.

Gemälde, Skulpturen: Im Inneren gibt es auch mehrere Gemälde und Skulpturenschätze. Etwa Statuen der Jungfrau Maria mit dem Christuskind oder Skulpturen, die die Kindheit Jesu und dessen Auferstehung darstellen. Zwischen 1630 und 1707 wurde die Kathedrale beinahe jedes Jahr im Monat Mai mit einem neuen Gemälde beschenkt. Allerdings befinden sich nur wenige davon noch in Notre-Dame.

Gewölbe: Nicht nur die Länge von 128 Metern und die beiden 69 Meter hohen Türme an der Westfassade beeindrucken. Ausgefeilt ist das System der Strebepfeiler und -bögen. Sie leiten das Gewicht nach außen ab, entlasten die innen liegenden Pfeiler und ermöglichen so ein lichteres, luftigeres, schlankeres und höheres Gebäude. Im Laufe des Brandes ist ein Teil des Gewölbes vor dem Chor jedenfalls eingestürzt, vermutlich aufgrund des in sich zusammengebrochenen Vierungsturmes.

Zwölf Apostel und vier Evangelisten hatten ihren Platz am Fuße des nun eingestürzten Dachreiters. Die Statuen stammen aus den 1860er Jahren und werden gerade in Südwestfrankreich restauriert.

Notre-Dame und ihre Kunstschätze
In Sicherheit

Wasserspeier: Berühmt sind auch die dämonenhaften Wasserspeier am Dach und die Drôleries der Galerie des Chimères auf den eckigen Türmen. Mehr als ein Dutzend Statuen in 50 Metern Höhe wurden erst vergangene Woche zwecks Restaurierung abmontiert. Andere, das zeigten gestern Bilder, wurden durch das Feuer nicht in Mitleidenschaft gezogen.

 

 

 

 

 

 

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19. April 2024