Die vollständige Heimatkunde
Ausstellung: "Kontaminierte Orte" im 20ger-Haus in Ried.
"Nein, es geht keineswegs um Anklage, sondern um die Erzählung, wie Orte und Räume ihre Unschuld verlieren", sagt Georg Wilbertz. Der Kunsthistoriker und OÖN-Architektur-Kritiker hat sich im Auftrag des afo (Architekturforum Oberösterreich) sowie basierend auf Martin Pollacks Band "Kontaminierte Landschaften" auf eine Reise durch Oberösterreich gemacht, um soziale wie kriminelle Verwerfungen in Beziehung zu Orten und Gebäuden zu stellen. Herausgekommen ist die erhellende Ausstellung "Kontaminierte Orte", die nach Linz und Marchtrenk nun am Donnerstag im 20ger-Haus in Ried im Innkreis ihre dritte Station eröffnete.
Die Idee zur Schau ergab sich ob des fragwürdigen Umgangs mit dem Hitler-Haus in Braunau. Es sind allerdings nicht nur NS-Verbrechen, auf die sich Wilbertz konzentriert: Er beleuchtet etwa die finstere Seite der Postkarten-Idylle von Schlögen, als dort 1935 während Ständestaats ein Bettlerlager installiert war, in dem aufgegriffene Obdachlose zu Arbeit gezwungen wurden. Und wer an Mauthausen denkt, dem steigen vor allem katastrophale Bilder des Konzentrationslagers auf. Kaum einer weiß, dass in der Donau-Gemeinde bereits während des Ersten Weltkriegs bis zu 60.000 Kriegsgefangene unter desaströsen Umständen inhaftiert waren. 11.000 davon starben. Wilbertz: "Mauthausen ist ein Beispiel dafür, wie die Wucht von Todeszahlen alles andere überdeckt." Ob der Verbrechen im KZ seien die Kriegsgefangenen von 1914 bis 1918 in Vergessenheit geraten.
Alle Orte sind mit kitschfreien Fotos bebildert, in jeweils aufgestellten Schachteln eröffnen sich die historischen Ereignisse anhand von Dokumenten.
Die physischen und psychischen Misshandlungen im Stift Kremsmünster werden genauso erzählt wie jene uralten entlang des Richtstättenwegs in Lochen, der sich zur ehemaligen Köpfstätte und dem Galgen schlängelt. Es ist eben eine Frage von quantitativer wie zeitlicher Dimension, ob sich aus Schrecken und Faszination für Gewalt touristischer Reiz entfaltet.
Bizarr ist obendrein die 1963 errichtete Dichterstein-Anlage in Offenhausen bei Wels samt gleichnamigem Verein des rassistischen und antisemitischen Schriftstellers Joseph Hieß. Der Verein wurde erst 1999 wegen NS-Wiederbetätigung aufgelöst, die Anlage bleibt ihrem unrühmlichen Ruinenschicksal überlassen.
Eine Ausstellung als bedeutender Beitrag zur vollständigen Heimatkunde.
Ausstellung: "Kontaminierte Orte", galerie 20gerhaus, Ried/Innkreis, bis 21. 11., Fr 15-18, Sa 10–12 Uhr. Gruppen auch nach Anmeldung: atelier20gerhaus@inext.at, Tel.: 0676/34 86 488.