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"Die Griechen machen das Gegenteil von dem, was die Regierung empfiehlt"

Von Lukas Luger, 25. Juli 2020, 00:04 Uhr
Mit seinen gesellschaftskritischen Kriminalromanen begeistert Petros Markaris ein Millionenpublikum. 

Bestsellerautor Petros Markaris (83) über seinen neuen Krimi "Zeiten der Heuchelei".

Zum zwölften Mal schickt Petros Markaris seinen Athener Kommissar Kostas Charitos auf Verbrecherjagd. In "Zeiten der Heuchelei" (Diogenes) bekommt es dieser mit einer Selbstjustiz übenden Terror-Organisation zu tun.

 

OÖN: Wie haben Sie den Corona-Lockdown überstanden?

Petros Markaris: Die Hauptzeit des Lockdowns, von Mitte März bis Ende Mai, habe ich zu Hause mit Arbeit verbracht. Das ist mein normales Leben, untertags bin ich am Schreiben. Schwierig wurde es am Abend. Denn in der Regel gehe ich dann mit Freunden ein Glas Wein trinken und plaudere mit ihnen. Das hat mir sehr gefehlt. Jetzt könnte ich mich theoretisch wieder frei bewegen. Ich bin aber vorsichtig. Ich bin 83 Jahre alt – und das Virus ist ja immer noch da.

Griechenland hat schnell und mit strengen Maßnahmen auf die Pandemie reagiert. Hat Sie überrascht, dass diese Maßnahmen von der griechischen Bevölkerung mitgetragen wurden?

Prinzipiell ist es so: Die Griechen machen das Gegenteil von dem, was die Regierung empfiehlt. Und zwar immer! Dieses Mal haben sich die Menschen aber konsequent an die Vorgaben gehalten. Das war neu – und in der Tat eine große, positive Überraschung für mich. In den 60er-Jahren war Griechenland zwar arm, die Menschen aber solidarisch. Heute ist die Situation ähnlich. Das gibt mir Hoffnung.

In "Zeiten der Heuchelei" wird der Besitzer einer Hotelkette ermordet. Ein Bekennerschreiben des "Heeres der nationalen Idioten" bezichtigt ihn der Heuchelei. Der Plot dreht sich stark um die Doppelmoral innerhalb der globalen Finanzwelt. Haben Sie die Idee dafür schon längere Zeit mit sich herumgetragen?

Investitionen sind wichtig und bedeuten Wachstum. Die Scheinheiligkeit in der Finanzwelt wird gleichzeitig aber immer evidenter, und das wollte ich mit meinem Buch aufzeigen. Unser derzeitiges Finanzsystem agiert als eine Art Parallelwelt, als eine Fake-Reality. Die Welt, in der wir leben, ist eine Theateraufführung inszeniert vom Finanzsystem, mit Politikern als Schauspieler auf der Bühne.

Ihre Täter morden nicht aus Lust, sondern aus Verzweiflung. Im Buch werden sie als "Terroristen der Hoffnungslosigkeit" bezeichnet. Warum dies?

Wir leben in einer Welt, in der ständig Grenzen überschritten werden müssen. Besonders viele junge Leute sind verzweifelt und gezwungen, ihre psychischen, physischen und materiellen Grenzen zu überschreiten, um zu überleben. Geschieht dies, verliert man das Gefühl, wie weit man gehen darf. Nicht, dass jeder zum Mörder wird, nein! Es ist aber ein gefährlicher Balanceakt. Wird eine ganze Generation gezwungen, sich auf das Überleben anstatt auf das Leben an sich zu konzentrieren, wird das schlimme Folgen haben.

Sie leben seit 25 Jahren mit der Figur des Kostas Charitos. Haben Sie das Gefühl, ihn in- und auswendig zu kennen, oder überrascht Sie Ihre eigene Figur noch?

Nein, überrascht werde ich nicht. Schauen Sie, jetzt erscheint in Griechenland der erste Charitos-Roman nach vielen Jahren wieder in einer Neuauflage. Meine Verlegerin rief mich an und sagte: "Petros, das ist ein ganz anderer Charitos als der, den ich kenne!" Stimmt. Aber das ist logisch. Von Buch zu Buch lernt der Autor seine Figur besser kennen, er entdeckt neue Seiten des Charakters. Das ist wie mit engen Freunden. Selbst nach Jahrzehnten lernt man noch neue Seiten an ihnen kennen.

Bei Eheleuten heißt es, dass diese sich immer ähnlicher werden. Gilt dies auch für Sie und Kostas?

(lacht) Früher sagte ich immer, dass Charitos und mich der sehr kritische, ironische Blick auf Athen und die Athener eint. Meine Tochter regt sich auf, dass sie meine Witze über die Athener ertragen muss – nur um diese in den Büchern aus dem Mund von Charitos noch einmal zu hören. Mittlerweile haben Charitos und ich auch eine deutlich zurückhaltendere Einstellung. Wir haben mit den Jahren eine Art Einverständnis über unsere Einstellung zur griechischen Gesellschaft entwickelt.

Haben Sie eine Idee, wie Sie Ihre Reihe enden lassen wollen?

Daran möchte ich nicht denken. Obwohl ich den Reiz verstehe, den Schlussakkord seiner eigenen Reihe zu bestimmen. Mein im Juli 2019 verstorbener Freund Andrea Camilleri, der die Montalbano-Romane geschrieben hat, hat dies so gemacht: Er hat seinem Verleger ein Manuskript überreicht, mit dem Zusatz, dass dieses erst nach seinem Tod veröffentlicht werden darf. Für mich ist das aber nichts. Ich plane noch viel Zeit mit der Familie Charitos zu verbringen.

Sie haben in Wien studiert. Wie fühlte es sich an, wenn Sie heute in die Hauptstadt kommen?

Heute hat Wien ein Nachtleben, früher nur ein reges Nachmittagsleben. Nur ein Witz (lacht)! Die Geschichte und die Architektur sind derart monumental, dass man sehr genau hinsehen muss, um die Veränderungen zu sehen. Erst vergangenes Jahr war ich für eine Lesung da. Auch heuer wurde ich für die "Kriminacht" eingeladen. Leider kann ich den Termin im Oktober wohl nicht wahrnehmen.

 

Zeiten der Heuchelei

Wie stets bei Petros Markaris ist auch sein neuer Charitos-Roman mehr Gesellschaftsporträt als klassischer "Wer war’s?"-Krimi. Von Altersmilde ist bei Markaris nichts zu merken. "Zeiten der Heuchelei" ist politisch, spannend und offeriert keine simplen Antworten. Toll!

 

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Autor
Lukas Luger
Redakteur Kultur
Lukas Luger
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