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Von Trotta: „Ich zeige Frauen, keine Heldinnen“

Von Von Ludwig Heinrich aus Berlin   22.September 2009

OÖN: Was hat Sie an dieser Figur aus dem 12. Jahrhundert besonders gereizt?

Von Trotta: Die Geschichte haben offensichtlich Männer gemacht. Frauen wurden ausgegrenzt, als hätten sie nie eine Rolle gespielt. Bei der Suche nach den „vergessenen Frauen“ musste man einfach auf sie stoßen. Was mich reizte? Ihre Vielseitigkeit. Sie hat versucht, ihr Multitalent auszuleben – immer in tiefem Glauben. Sie hat an Gott, den Teufel, den Himmel, die Verdammnis geglaubt – und dass die Welt eine Scheibe ist. Unten war die Hölle. Sie hat den Glauben auch benützt, um Dinge für sich und ihre Mitschwestern zu erreichen.

OÖN: Könnte man sagen, dass sie das sehr clever gemacht hat?

Von Trotta: Schon. Dass sie es zum Beispiel verstanden hat, sich als Seherin akzeptieren zu lassen. Das war nicht ungefährlich, denn ihre Visionen konnten ja auch vom Teufel kommen, und wer weiß, was dann mit ihr geschehen wäre. Mit ihrem diplomatischen Geschick – sie kannte die Menschen und ihre Eitelkeiten – hat sie sich als „demütige Frau und Dienerin“ an den mächtigen Bernhard von Clairvaux gewandt, danach durfte sie laut sagen, dass sie Visionen hat, und sie sogar veröffentlichen. Der noch größere revolutionäre Schritt war, dass sie es mit Hilfe der Visionen durchsetzte, ein eigenes Kloster zu gründen.

OÖN: Braucht nicht auch eine Regisseurin Visionen?

Von Trotta: Klar, besonders, wenn man die Drehbücher selbst schreibt. Oder nehmen Sie eine meiner Filmheldinnen, Rosa Luxemburg. Sie hatte ebenfalls Visionen, Utopien – für eine bessere, gerechtere Welt. Vieles, was Hildegard von Bingen machte, hat die Zeiten überdauert. Sie hat sich damals oft mutig gegen den Klerus und die Herrschenden gestellt. Friedrich Barbarossa mahnte sie: „Pass auf die Habgier auf!“ Bereicherung, Habgier – das kann man heute genauso zitieren. Dazu kommt ihr Wissen über die Heilwirkung von Kräutern – heutzutage absolut „in“. Oder ihr Werk als Komponistin, hat sie doch über 90 Gesänge geschrieben.

OÖN: War Barbara Sukowa Ihre Wunschdarstellerin als Hildegard?

Von Trotta: Das war sie. Im größten Teil des Films ist Hildegard 36, Barbara ist 60, sieht aber aus wie 50. Unter dieser schönen Schwestern-Haube konnten die Maskenbildnerinnen allerlei anstellen, Haut glatt ziehen oder so. Wir haben diese Möglichkeiten weidlich genützt. Und dann hat Barbara so schöne Augen, dieses Augenblau ist sehr wirksam. Es ist mir wichtig: Ohne Barbara Sukowa hätte ich diesen Film nie gemacht. Sie ist nicht pathetisch-kitschig, sie hat alles hingekriegt, ohne dass Heiligenbildchen entstanden.

OÖN: Ehrlich: Glauben Sie wirklich, dass Hildegard von Bingen die Visionen von Gott geschickt waren?

Von Trotta: Ich glaube, dass sie es glaubte und zutiefst davon überzeugt war. Ich hingegen kann mir nicht gut vorstellen, dass Gott jemanden auswählte, unter dem Motto „Du bist dafür da!“ Auch hatten Hildegards Visionen rein christlichen Charakter, sie haben bloß das Christentum bedient. Gäbe es den einen, allmächtigen Gott, dann wäre er doch für alle da.

OÖN: Die Gretchenfrage aus dem „Faust“ als Margarethchen-Frage: Wie halten S i e es mit der Religion?

Von Trotta: Sagen wir so: Ich gehe nicht in die Kirche. Außer, wenn ich für kranke Freunde Kerzen aufstellen möchte, oder um Momente der Stille zu haben. Ich kann nicht behaupten, dass ich gläubig bin. Am ehesten bin ich eine gläubige Atheistin. Mit den Institutionen komme ich nicht zurecht, und mit vielem, was der Papst so von sich gibt, kann ich wirklich nicht leben.

OÖN: Man sagt Ihnen nach, dass im Mittelpunkt Ihrer Filme immer wieder Frauenfiguren stehen?

Von Trotta: Man hat mir sogar schon gesagt: „Mach einmal einen Film über einen Mann, erst dann wirst du eine gute Regisseurin sein!“ Hätte ich ein wunderbares Drehbuch, ich hätte nichts dagegen. Aber was soll ich machen? Ich lande immer wieder bei Frauen. Wobei ich nie versuche, Heldinnen aus ihnen zu machen, sondern ich zeige sie, wie sie kämpferisch ihren Weg suchen, sich aussetzen, vieles in Kauf nehmen, um sich selber zu finden.

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25. April 2024