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"Unser Bildungssystem ist so nicht mehr haltbar"

Von Peter Grubmüller   18.Dezember 2017

Anfang Dezember wurde der gebürtige Mühlviertler Gerald Bast bis 2023 erneut einstimmig zum Rektor der Wiener Universität für angewandte Kunst gewählt. Im OÖN-Interview spricht der 62-Jährige über fatale Fehler im Bildungssystem und über die Möglichkeiten künstlerischer Methoden.

 

OÖNachrichten: Sie wurden in Freistadt geboren und haben in Linz Jus studiert. Wann ist für Sie Kunst wichtig geworden?

Gerald Bast: Kunst war schon während meines Studiums enorm wichtig. Mit ein, zwei Studienkollegen war ich nächtelang bei Vernissagen in Linzer Galerien, ich habe mit Künstlern wie Kunstkritikern diskutiert und war bei Konzerten, vom Bruckner Orchester bis zu Miles Davis. In dieser spannenden Zeit habe ich viel gelernt. Mein Interesse an Bildung und Bildungspolitik hat sich auch während des Studiums entwickelt. Ich war in der Studentenvertretung, und die Funktion von Bildung habe ich schon damals als gesellschaftliche Wirkungskraft gesehen.

Welche Rolle werden künstlerische Methoden bei der Neudefinition von Bildung, Arbeit und Demokratie spielen?

Wirtschaftstreibende, Politiker und Wissenschafter erklären ständig, dass die Welt immer komplexer wird. Und wenn das so ist, muss das eine Auswirkung auf unsere Art der Bildung haben. Enzyklopädische, lineare Bildung funktioniert nur noch in Teilbereichen. Die prägenden Erfindungen und Innovationen finden an den überlappenden Rändern der Disziplinen statt. Was künstlerische Methoden betrifft, definieren unter anderem das World Economic Forum, die OECD und die Weltbank einige Schlüsselkompetenzen im digitalen Zeitalter: Kreativität, die Fähigkeit zum kritischen Denken und die Fähigkeit, Verbindungen zwischen Disziplinen herzustellen. Was tun Künstler? Sie beschäftigen sich mit der Anwendung von Mehrdeutigkeit, mit Ungewissheit, mit Verfremdungen, mit Abstraktion, mit Kontextualisierung. Das sind Fähigkeiten, die heute in der Gesellschaft und in der Wirtschaft wichtig sind. Andere Dinge werden uns abgenommen werden.

Inwiefern abgenommen?

Von Maschinen, die in unglaublicher Geschwindigkeit mit künstlicher Intelligenz, mit Algorithmen, mit Robotics arbeiten. Bis zu 50 Prozent heute üblicher Jobs werden in 20 Jahren nicht mehr existieren. So eine Perspektive muss Auswirkungen auf das Bildungssystem haben – sowohl bei der Frage nach beruflichen Möglichkeiten als auch in philosophischer Dimension. Was wird die Rolle des Menschen in einer Zeit selbstständig arbeitender Maschinen sein? Das bedeutet den Bruch einer Zivilisation, wie wir sie kennen. Die Europäische Union empfiehlt deshalb, dass wir mehr Bedacht auf die holistische Sicht, auf das Ganzheitliche nehmen.

Dabei wird der Mensch ständig auf Spezialisierung gedrillt …

…richtig, seit 50 Jahren werden wir von der Schule bis zur Forschung spezialisiert. Unser Bildungssystem ist so nicht mehr haltbar, sonst verlieren wir die Kontrolle über die Zivilisation.

Zusammen mit etlichen Kulturschaffenden haben Sie schon 2009 "Pasi", die Pro Arts School Initiative, zur Förderung von Kreativität in Schulen gegründet. In deren Manifest steht: "Die Ökonomisierung der Gesellschaft ist gescheitert – das Gebot der Zeit ist die (Re-)Kulturalisierung." Was haben Sie mit Pasi bis jetzt erreicht?

Manchmal kommt man sich wie ein einsamer Rufer vor, aber wie vorhin genannt gibt es heute viele Institutionen, die in die gleiche Kerbe schlagen. Was eben auch das World Economic Forum seit Jahren fordert – dass generalistisches Denken und Handeln zum Bildungsziel wird –, schlägt in der Realpolitik nicht auf. Nun ist dieses Forum kein esoterischer Zirkel, sondern es besteht aus knallharten Wirtschaftsbossen. Und wenn die das fordern, steht eine massive Wende definitiv bevor. Ich werde nur dann nervös, wenn Menschen denken, es habe immer technologische Umwälzungen gegeben, die wir immer mit konventionellen Mitteln bewältigt haben.

Woran liegt diese Behäbigkeit in der Bildungspolitik?

Einerseits geht es um ideologische Grabenkämpfe, die wichtiger als Inhalte sind. Ich habe den Eindruck, Kompromisse vergangener Jahre sind nur darauf hinausgelaufen, dass Türschilder geändert wurden. Es wird uns nicht retten, ob es nun Landesschulrat oder Bildungsdirektion heißt. Es geht um Inhalte! Andererseits sagen Arbeiterkammer und Industriellenvereinigung zu Studien, die diese großen Umwälzung prophezeien, dass eh alles nicht so schlimm werden wird. Das ist die Angst vor totaler Erneuerung und die Angst, damit nicht umgehen zu können.

Welche bildungspolitischen Maßnahmen wären Ihrer Meinung nach dringend notwendig?

In Finnland hat man vor einigen Jahren den Schritt gewagt, nicht mehr unabhängig voneinander 50 Minuten Mathematik, 50 Minuten Geschichte und 50 Minuten Geografie zu unterrichten. Dort wird themenorientiert gelehrt: Migration; alternde Gesellschaft; was bedeutet es, wenn sich Techniken der Kommunikation ändern? Natürlich müssen Lesen, Rechnen und Schreiben Bildungsziele bleiben, aber neben kreativer und sozialer Intelligenz.

Stellen Sie bei Ihren Studierenden mangelnde Kreativität fest?

Es ist eine andere Form von Kreativität. Der Ansturm an den Kunstuniversitäten ist ungebrochen, in den vergangenen 15 Jahren ist die Anzahl der Bewerbungen um 50 Prozent gestiegen. Aber eine Kunstuniversität kann diesen Auftrag nicht alleine stemmen, auch wenn das, was wir vermitteln, nicht nur auf dem Kunstmarkt eine Rolle spielt, sondern darüber hinaus. An der Angewandten haben wir als Konsequenz ein generalistisches Studium eingerichtet. Es heißt Cross-Disciplinary Strategies, und es geht um lösungsorientierte Kompetenzen in den Feldern Science, Philosophie, Ökonomie, Naturwissenschaft und natürlich Kunst. Dafür haben wir Leute gewonnen, wie die Molekularbiologin Renée Schröder, den Menschenrechtsexperten Manfred Nowak, den Künstliche-Intelligenz-Experten Robert Trappl und den Quantenphysiker Anton Zeilinger. Ich sehe das als eine Art Vorleistung für unser Bildungssystem.

Sie sagen, es handle sich um eine andere Form der Kreativität bei Jugendlichen. Um welche?

Die Art, wie heute kommuniziert wird, verändert natürlich auch das Denken. Wir haben es mit den Ergebnissen der Twitter-Kultur zu tun, die sich von der Medienkunst bis hin zur Architektur ausdrückt. Man sagt den jungen Menschen Desinteresse und Demotivation nach, aber was ich erlebe, ist, dass die Art und Weise, wie diese Menschen mit Demokratie und eigeninitiativ mit Neuen Medien umgehen, völlig unterschätzt wird. Diese Leute wenden sich nicht von der Politik als gesellschaftliches Gestaltungsinstrument ab, aber sie hinterfragen kritisch, wie Politik konkret aussieht. Leider tun unsere Politiker nicht viel dazu, um auf diese Menschen zuzugehen. Andererseits: Wenn Bildung weiterhin geprägt ist von ja oder nein, richtig oder falsch, entweder oder, dann darf man sich nicht wundern, wenn die Menschen zu einer populistischen Politik der einfachen Antworten abdriften.

 

Gerald Basts Werdegang und seine Funktionen

Gerald Bast wurde 1955 in Freistadt geboren und er studierte Jus und Wirtschaftswissenschaften in Linz. 1979 wurde er zum Doktor der Rechtswissenschaften promoviert und war ab 1980 nach Gerichtsjahr und kurzer Zeit als Richteramtsanwärter Beamter im Wissenschaftsministerium. Von 1991 bis 1999 war er Leiter der Abteilung für Organisationsrecht und Grundsatzfragen der Reform der Universitäten und Kunsthochschulen. 1999 wurde er erstmals zum Rektor der Wiener Universität für angewandte Kunst gewählt.

2003, 2006, 2010, 2014 und 2017 wurde er in diesem Amt bestätigt. Zuletzt für die Periode 2019 bis 2023. Er ist stellvertretender Vorsitzender des Dachverbandes der österreichischen Universitäten, Sprecher der Rektoren der Kunstuniversitäten, Mitglied des Executive Board der European League of Institutes of the Arts (ELIA) und Mitglied der Europäischen Akademie der Wissenschaften und Künste.

Gerald Bast ist mit der Künstlerin und Social-Designerin Cornelia Bast verheiratet.

 

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25. April 2024