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„Schreiben auf dem Computer ist wie Liebemachen mit Kondom“

01.September 2012

Mit Ruhestand hat Antonio Lobo Antunes zu seinem 70. Geburtstag ebenso wenig am Hut wie mit Schreibmaschinen oder Computern: „Ich würde am liebsten mit einem Kugelschreiber in der Hand sterben“, sagt der Mann, der als bedeutendster lebender Schriftsteller der portugiesischen Sprache gilt. In seiner Wohnung im Zentrum Lissabons arbeitet er jeden Tag bis zu 14 Stunden, tut nichts anderes als schreiben. Heute wird er nur kurz Pause machen, um im Beisein seiner Frau, seiner drei Töchter und der zwei Enkelkinder die Kerzen auf der Torte auszublasen.

Der „ewige Nobelpreiskandidat“ produziert mit Kuli und DIN-A4-Blättern seine poesievollen Romane. Nach dem im vergangenen Oktober in Portugal erschienenen Werk „Comissao das Lagrimas“ soll in Lissabon demnächst das 24. Buch präsentiert werden.

Mit seiner unkonventionellen, energievollen und dichten Sprache, seinen an Atmosphäre und Metaphern reichen Texten begeistert Lobo Antunes Fans weltweit. Seine Romane wurden in mehr als 50 Sprachen übersetzt. Eine zentrale Rolle spielt immer wieder sein Dienst Anfang der 70er-Jahre als Militärarzt in der damaligen Kolonie Angola. Das Regime in Lissabon hatte den jungen Chirurgen aus reichem Hause für den Kolonialkrieg zwangsverpflichtet. „Das war schrecklich, bei einem Krieg gibt es nur Verlierer. Es war eine radikale Erfahrung, die mein Leben verändert hat.“

Nach der Rückkehr vom knapp zweieinhalbjährigen Einsatz Anfang 1973 arbeitete Lobo Antunes in Lissabon als Psychiater in einem Krankenhaus, schrieb nur in der knappen Freizeit. Bis ihm 1979 mit dem Roman „Os cus de Judas“ (1987 auf Deutsch „Der Judaskuß“ erschienen) der Durchbruch gelang. Im autobiografischen Roman in Monologform offenbart ein Kriegsveteran, den Angola zum seelischen Krüppel gemacht hat, einer Prostituierten in einer Lissabonner Bar im Alkoholrausch Erinnerungen, Sehnsüchte, Schmerzen und Bitterkeiten. Lobo Antunes machte in seinem Leben viel durch. Als Dreijähriger fesselte ihn eine Tuberkulose ein Jahr ans Bett, 2007 überlebte er ein Krebsleiden. Die zunehmende Taubheit aber „war ein literarischer Segen, weil ich die inneren Stimmen besser höre und meine Arbeit dadurch besser wurde.“

Angst, Tod, Krankheit, Gewalt, aber auch die kleinen Sachen des Lebens sowie ein düsterer Gegenwartsblick spielen in den Werken des Autors, der seit 2010 in dritter Ehe mit einer 21 Jahre jüngeren Journalistin verheiratet ist, die Hauptrollen. „Mein Vater war Brasilianer, seine Mutter Deutsche, in meiner Familie gibt es Portugiesen, Italiener. Eines habe ich schon früh gelernt: Es gibt blonde, schwarz- und braunhaarige Menschen, aber ihre grundlegenden Probleme sind immer dieselben“, so der Literat.

Feste sind Lobo Antunes ebenso suspekt wie Politiker, Kreditkarten, Internet oder Computer: „Ich mag es, die Buchstaben zu malen. Aufs Glas (des PC-Schirms) zu sehen, ist wie Liebemachen mit Kondom. Ich schreibe ohne Kondom.“

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