Rock’n’Roll im Cinemascope-Format
Schlabberzunge Gene Simmons und seine Mannen von „Kiss“ gastierten Donnerstagabend mit ihrem wahnwitzigen Rock’n’Roll-Brimborium in der Wiener Stadthalle.
„Ihr wollt das Beste?“ „Ihr bekommt das Beste!“ „Die heißeste Band der Welt: KISS!“ Was folgt sind 120 Minuten Rock’n’Roll-Zirkus der Extraklasse. Inklusive literweise Kunstblut, züngelndem Gitarristen, lautstarken Explosionen, an der Decke schwebendem Schlagzeuger und einem Sänger mit Wohlstandswampe auf silbernen Plateauschuhen. Die Realität hat definitiv keinen Platz im Kiss-Universum.
Egal. Die Urväter des schnörkellosen Stadionrocks wissen in der mit 15.000 Besuchern beinahe restlos ausverkauften Wiener Stadthalle, eindringlich die Heilkraft des Rock’n’Roll zu beschwören. Die Musik von Kiss folgt dabei seit der Gründung 1973 stets dem gleichen Muster: leicht entflammbarer, widerborstiger Bluesrock mit Glam-Einschlag und Mitsing-Texten, die zwischen dämlich und grenzdebil schwanken. Stilistische Experimente und Innovation: Wer bitte braucht das schon?
Ganz sicher nicht Gene Simmons, Kopf der Band und gemeinsam mit Sänger Paul Stanley letztes verbliebenes Originalmitglied: „Wir besitzen mehr Feuerkraft als die meisten Länder der dritten Welt“, ließ der mittlerweile 60-jährige Bassist die Welt zum Auftakt der „Sonic Boom over Europe“-Tour wissen. Ein Hoch auf die Pyrotechnik.
Theatralisches Spektakel
Und er hat recht. Auftritte der geschminkten Viererbande, die in ihrer Karriere fast 80 Millionen Alben verkauft hat, sind natürlich immer eine Art Varieté: der Knall und der Rauch, die Raketen, die aus Gitarren abgefeuert werden, und der bombastische, hart rockende Sound. Die Hauptstadt bebt, das Publikum bejubelt frenetisch das theatralische Spektakel. Eine perfekte Rock’n’Roll-Show im farbenfrohen Cinemascope-Format.
Sichtlich in Spiellaune brettern sich die New Yorker Mannen während ihres zweistündigen Österreich-Gastspiels durch ein Potpourri ihrer 37-jährigen Karriere. Vom aktuellen „I’m An Animal“ über den unkaputtbaren Klassiker „Detroit Rock City“ bis hin zum Ballermann-tauglichen Disco-Schlager „I Was Made For Loving You“.
Eine mächtige Flutwelle aus Trommelschlägen und Gitarrengeprassel bricht über die Fans herein. Bei den Zugaben „God Gave Rock’n’Roll To You“ und „Rock And Roll All Nite“ geht die Ekstase über in einen Zustand permanenter Raserei.
Kiss bieten jene Erlösung, die ausschließlich der Rock’n’Roll bringen kann. Und wenn auch nur für einen einzigen Abend.