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Marcel Prawy: Mischung aus Clown und Prophet

Von Peter Grubmüller, 29. Dezember 2011, 00:04 Uhr
Mischung aus Clown und Prophet
Marcel Prawy (1911-2003), Dramaturg, Opernexperte, Opernkritiker Bild: APA

Heute wäre Marcel Prawy 100 Jahre alt geworden. Als „Opernführer der Nation“ war er dank seinen ab 1965 ausgestrahlten TV-Sendungen ein Unikat. Die OÖNachrichten sprachen mit Prawys Schüler Christoph Wagner-Trenkwitz, dem Direktionsmitglied der Wiener Volksoper.

OÖN: Welche Beziehung hatten Sie zu Marcel Prawy?

Wagner-Trenkwitz: Wenn ich sage, er war mein Lehrer, dann kommt das aus meinem egozentrischen Weltbild. Er war jedermanns Lehrer – auf eine Art und Weise, die ihn bei allen beliebt gemacht hat. Ich wünschte, dass mehr Lehrer so wären, auch in der Schule, dann würden mehr Kinder mehr und lieber lernen. Er hat uns alle zu seiner ihn liebenden Schulklasse gemacht. Er war ein Fernsehstar, er war ein Bühnenstar, ein charmanter Plauderer und einer der letzten jüdischen Conférenciers.

OÖN: Allerdings hat er auch so etwas wie das alte Österreich verkörpert?

Wagner-Trenkwitz: Stimmt – und gleichzeitig im neuen Österreich eine neue Musikära anbrechen lassen: das Musical. Er war gleichzeitig unheimlich altmodisch und modern. Gegen die furchtbarsten Widerstände hat er 1956 das erste große Musical („Kiss me Kate“, Anm.) in der Volksoper produziert. Er weinte in der „Elektra“ von Richard Strauss und ging auch zu Konzerten von Udo Jürgens und Tina Turner. Er hat einen viel größeren Kosmos an Musik in die Welt getragen, als dieses Etikett „Opernführer“ glauben machen könnte.

OÖN: Wie wurden Sie von Prawy nicht nur beruflich, sondern auch menschlich geprägt?

Wagner-Trenkwitz: Ich behaupte, dass wir eng befreundet waren, und bin mir gleichzeitig nicht sicher, ob das mit ihm überhaupt möglich war. Er hat mich sehr gefördert, und ich hoffe bis heute, dass ich ihn nicht zu sehr imitiere, weil das eine verlorene Schlacht wäre. Er hat technisch enorm viel gekonnt und war ein humorvoller, aber auch ein furchtbar lästiger Mensch. Ich kann trotzdem nicht sagen, dass er mir auch in privaten Angelegenheiten ein Vorbild war.

OÖN: Warum nicht?

Wagner-Trenkwitz: Weil ich eine wunderbare Familie habe und auch glücklich bin, wenn ich einen Tag nichts von Oper und Operette höre. Er hat das Private in seinem Leben ziemlich ausgeblendet. Das hat es einfach nicht gegeben – wie er selbst immer gesagt hat: Seine Wohnung war die Oper. Ich möchte meinen privaten Bereich, der von der Volksoper ohnehin immer mehr aufgefressen wird, schon als Zufluchtsort schützen. Für ihn galt: tagsüber arbeiten und am Abend zuhören. Sein Privatleben war sein Beruf.

OÖN: War das eine Obsession?

Wagner-Trenkwitz: Ja, extrem. Wenn Prawy anwesend war, konnte man das Thema nicht frei wählen. Seine besondere Mischung aus Clown und Prophet war aber auch wieder faszinierend. Seine langjährige Partnerin Senta Wengraf hat immer gesagt, Prawys eine Gehirnhälfte sei so stark ausgeprägt, dass die andere komplett verkümmert ist. Er hat sich zum Beispiel nicht darum gekümmert, was er gerade isst, ob Winter oder Sommer ist – oder ob er ein Rendezvous mit einer Frau hatte. Wenn ihm eine Vorstellung gefallen hat, dann konnte es passieren, dass er die Frau in der Oper vergaß.

OÖN: Was musste man erdulden, um die Freundschaft mit ihm zu erhalten?

Wagner-Trenkwitz: Mit ihm zu essen. Das war einerseits ein Privileg, andererseits eine große Prüfung. Er hat irgendwas in sich hineingeschlempert, sich dabei furchtbar angepatzt und mit dem Suppenlöffel gestikulierend erzählt. Man konnte froh sein, wenn er nicht auch noch seine Gesprächspartner angepatzt hat.

OÖN: Warum war er nie verheiratet?

Wagner-Trenkwitz: Heiraten? Das kam ihm nicht in den Sinn. Viele glauben ja heute noch, dass er homosexuell war. Ich versichere Ihnen: nein, keine Spur. Die Vorstellung, für eine Familie zu sorgen, am Abend zu einer Ehefrau zu gehen und einfach nicht frei zu sein, das wäre für ihn unmöglich gewesen. Allerdings war er ein sehr treu sorgender Mensch, der sich für andere sehr wohl interessiert hat. Als meine erste Tochter zur Welt kam – ich hab’ damals in der Staatsoper gearbeitet –, sind alle mit Glückwünschen über mich hergefallen. Marcel Prawy hat mit dem zauberhaftesten Lächeln gesagt: „Warum soll ich dich für etwas beglückwünschen, was ich mein ganzes Leben erfolgreich vermieden habe?“ Er wäre auch ein unmöglicher Vater gewesen, aber als sein Enkel – sozusagen – habe ich mich sehr wohl gefühlt.

OÖN: Glauben Sie, dass diese Familienverhinderung mit der Geschichte seiner eigenen Familie zu tun hatte?

Wagner-Trenkwitz: Das kann sein. Seine Mutter ist durch Selbstmord aus dem Leben geschieden, die zweite Mutter – glaube ich – auch. Er hat keine Geborgenheit in seiner Familie gespürt. Die hat er in der Oper gesucht, außerdem eine Ersatzreligion. Er hat die Oper mit diesem Fundamentalismus und mit dieser Wut verteidigt, wie andere ihre Religion verteidigen.

OÖN: Wie hat er reagiert, wenn ihm die Arbeit eines Regisseurs nicht gefallen hat?

Wagner-Trenkwitz: Dann hätte er diesen Regisseur umbringen können, weil er ein Heiligtum geschändet hat. Er hat ja auch nicht ganz so kluge Sätze in die Welt gesagt – wie: Regie ist das Aids des Musiktheaters. Das war schon jenseits der Grenze, aber man musste auch nicht alle seine Überzeugungen teilen.

OÖN: War Prawy wehleidig?

Wagner-Trenkwitz: Nein. Wenn man ihn beleidigt hat, dann war er zornig, aber wehleidig war er nie. Er hat sich auch nie beklagt. Man konnte ihn allerdings persönlich beleidigen, wenn man die „Bohème“ nicht schön inszeniert hat.

OÖN: Hat er je über seine private Vergangenheit gesprochen, zum Beispiel über den polnischen Tenor Jan Kiepura, der ihn damals vor den Nazis gerettet hat?

Wagner-Trenkwitz: Wenn Prawy sich selbst gemeint hat, hat er über andere geredet – und umgekehrt. Seine Vergangenheit war so verwoben mit seiner Gegenwart, aber seine Schilderungen waren gut portioniert. Er hat sich selbst nicht hinterfragt. Ich habe ihn lange gepiesackt, damit endlich eine Biographie von ihm erscheint. Er wollte das zunächst gar nicht. Er dachte, das interessiere keinen, es hat ja nicht einmal ihn selbst interessiert.

OÖN: Zurück zu seinem Verständnis von der Oper als Religion. Wer war sein Gott?

Wagner-Trenkwitz: Seine Götter waren die Komponisten, nicht die Sänger, die waren bloß die Heiligen. Gottvater seiner Jugend war Richard Strauss, außerdem hat er Richard Wagner verehrt, Erich Wolfgang Korngold und Robert Stolz. Mozart hat er nicht geliebt, Prawy war an neuen Kompositionen interessiert. Das ist an den heutigen Opernhäusern anders. Heute ist Oper das, was Richard Strauss vorhergesehen hat: ein Museum.

 

Marcel Prawy, der Opernführer der Nation

Geboren wurde Marcell Horace Frydmann, Ritter von Prawy, am 29. Dezember 1911 in Wien. Seit frühester Jugend gehörte die Opernwelt fix zu seinem Leben. 1938 rettete der polnische Sänger Jan Kiepura dem jüdischstämmigen Prawy das Leben, indem er ihn als persönlichen Sekretär in die USA mitnahm. 1972 wurde Marcel (nur mehr mit einem „l“) Prawy Staatsopern-Chefdramaturg. Generationen von Musikliebhabern steckte er mit seiner Begeisterung an. Nach seinem Tod 2003 übernahm die Wienbibliothek Prawys Nachlass, darunter das legendäre Plastiksackerlarchiv.

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1  Kommentar
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GunterKoeberl-Marthyn (17.923 Kommentare)
am 29.12.2011 21:23

denn er brachte das Musical "Kiss me kate" nach Europa, nach Österreich wo ich am Stadthater Klagenfurt den Bill Calhoun / Lucentio singen durfte! Marcel Prawy gab den Auftrag an Robert Gilbert und Gerhard Bronner, das Musical in die deutsche Sprache zu übersetzen! Einmal hatte ich die unvergessliche Gelegenheit, mit dem Chefdramaturgen Marcel Prawy die gleiche Stiege in der Staatsoper Wien zu benützen, wo ich ihm meinen Dank für die "Lieferung der Musicals über den Teich zu uns nach Österreich" aussprechen konnte! Die linke Hand hatte er immer ganz Nobel in der Sakkotasche und ich werde diese Begegnung und seinen fürstlichen Gang nie vergessen!
Er hat auch die Freundschaft zu Martha Eggerth immer gepflegt und dieses Operettenstar noch als Gast auf die Volksoperbühne geladen, deren Auftritt mich zu Tränen rührte! Nochmals vielen Dank an den "Menschenfischer für Musik und Kultur" Sir Marcel Prawy!

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