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"Lesen war meine Chance, der Gewalt zu entfliehen"

Von Peter Grubmüller   18.Jänner 2018

Ohne dieses Ritual schlägt er in der Öffentlichkeit kein Buch auf: Vor jeder Lesung bittet Robert Menasse um Saallicht und fotografiert mit dem Handy das Publikum. Er brauche das für Facebook – und weil er nichts Privates poste, aber soziales Netzwerken vom Verlag empfohlen sei, veröffentlicht Menasse eben Fotos einer "qualifizierten Öffentlichkeit". Der viel zu früh verstorbene Schriftsteller, Übersetzer und Satiriker Harry Rowohlt (1945– 2015) hat solche Eröffnungen als "Anschleimphase" bezeichnet, aber was überall funktioniert, haut auch am Dienstag im bis zum letzten Platz gefüllten großen Saal des Steyrer Museums Arbeitswelt hin: Die Grundstimmung unter dem Vorsitz des mit dem Deutschen Buchpreis 2017 Ausgezeichneten ist im Handumdrehen hervorragend. Und so startet Menasse mit dem Prolog seines Romans "Die Hauptstadt", in dem die griechische Zypriotin Fenia Xenopoulou als Beamtin der Brüsseler Generaldirektion für Kultur das Image der Europäischen Kommission aufpolieren soll. Wer mehr darüber wissen will, sollte die empfehlenswerten 459 Seiten selbst lesen.

Menasses Kindheit im Internat

Von diesem Abend bleibt vor allem Menasses Beantwortung der Publikumsfragen in Erinnerung. Vor allem jene, warum Menasse Schriftsteller geworden sei. "Mit sechs, nach der Trennung meiner Eltern, bin ich ins Internat gekommen", sagt Menasse. In der Volksschule sei es noch "gegangen, aber mit Beginn der Pubertät wurde die Gewalt von Lehrern und Mitschülern unerträglich – und Lesen war meine Chance, der Gewalt zu entfliehen."

Er versteckte sich unter der Bettdecke im Schlafsaal, obwohl dieser tagsüber nicht betreten werden durfte, und fraß sich buchstäblich durch die Schulbibliothek, wo pro Woche nur ein Buch ausgeliehen werden durfte. Während der Lektüre von Dostojewskis "Die Dämonen", womit ihm der Schöpfungsakt eines Romans zauberhaft vermittelt wurde, sei sein Entschluss mit 17 festgestanden: "Ich werde Schriftsteller. Ich war vom Internat so gebrochen, dass ich zu keinem vernünftigen Beruf mehr fähig gewesen wäre." Er habe ja auch nichts so gut gelernt, "wie zu lesen und zu fantasieren", sagt der 63-Jährige. Und zu erzählen, denn wie er obendrein über schlüpfrige Karrieristen in Brüssel, die dort Salamander genannt werden, und andererseits über Verbindlichkeit wie Transparenz der Europäischen Kommission und deren Beamte berichtete, war packend für sich. Viele Freund- und Feindschaften seien während seiner Recherche in Brüssel entstanden. Und ein ausgezeichneter Roman. Großer Applaus nach den zwei Stunden in Steyr.

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29. März 2024