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Komik als Impfstoff gegen die Verzweiflung

Von Peter Grubmüller   10.August 2018

Dusan David Parizek ist einer der spannendsten Theaterkünstler unserer Tage. Der in Brünn in Tschechien geborene Regisseur, der in München und Prag studiert und bis 2012 sein als Student gegründetes Prager Kammertheater geleitetet hat, statuierte am Mittwoch bei den Salzburger Festspielen das Exempel, wie aus einem prosaischen Romangeflecht ein dramatisches Ereignis werden kann. Im "republic", der alternativen Festspiel-Bühne, wo einst das interessante, aber nach Wegfall eines Sponsors abgeschaffte "Young Director’s Project" zu Hause war, inszenierte er aus David Grossmans 2016 erschienenem Band "Kommt ein Pferd in die Bar" die bisher beste Schauspiel-Produktion dieser Salzburger Saison.

Wer bei glühender Hitze bis zum Schluss durchgehalten hatte, stand zum Applaudieren auf. Parizeks Erfolg ist schließlich auch jener des fabelhaften Samuel Finzi, der zweidreiviertel Stunden lang die Figur des abgetakelten Alleinunterhalters Dov "Dovele" Grinstein schrie, ächzte, schnaubte. Anstatt einen letzten unterhaltsamen Abend an seinem 57. Geburtstag in der Provinz zu verbringen, wirft Dov durch die Lupe seines eigenen Lebens grelle Lichtkegel auf die Beschädigungen einer israelischen Gesellschaft, die wegen der Fortwirkung des Holocausts und der Verrohung unentwegter Konflikte keine Ruhe findet.

Die hauchzarte Gefährtin

Parizek folgt nicht blindlings Grossmans Vorlage, sondern er webt die hauchzarte Pitz (die großartige Mavie Hörbiger) als Kindheitserinnerung aus der ehemaligen Nachbarschaft anstatt des Roman-Erzählers und Juristen Avischai Lasar ins Publikum ein. Sie erinnert Dov als "guten Jungen", der oft auf Händen ging. Als der kapitulierende Kabarettist dies nun wieder versucht, stürzt die riesige Holzrückwand, die den Bühnenraum zum schmalen Gang verknappt, nach hinten und öffnet eine neue Erzählebene samt gigantischem Raum in die Vergangenheit.

Dovs Parforceritt durch die eigene Geschichte ist ergreifend traurig und grausam komisch – immer auf des Messers Schneide zwischen Tragödie und Farce. Er spuckt dem Publikum seine Antipathie ins Gesicht, zieht über Frisuren her, über kleine Musen und fette Kinnpartien, weidet sich an debiler Zustimmung und ruft zum "Applaus fürs Nicht-Nachdenken" auf, während er politische Positionen so rasch wechselt, wie er über die Bühne rast. Eine Publikumsbeschimpfung "de luxe".

Alle im Saal sind Geisel, die er zum Blick in die Hölle zwingt. Für ihn öffnete sich der Abgrund, als er sich zwischen Vater und Mutter entscheiden musste. Die Mutter war in Polen ein halbes Jahr lang von drei Lokführern "beschützt", aber tatsächlich missbraucht worden. Als Schatten ihrer selbst überlebte sie die Shoah. An ihr hat Dov sein komisches Talent trainiert. Eine Komik, mit der er sich gegen die Verzweiflung zu impfen versucht. Aber jetzt verschmelzen Trauma und Show zur explosiven Mischung.

David Grossman kam selbst zum Gratulieren auf die Bühne. Finzi setzte sich zum Klavier und dankte mit einer anrührenden "Let it be"-Version. Glücklich ist, wer dieses Schauspiel noch vor sich hat – ab 5. September im Wiener Akademietheater.

 

Fazit: Samuel Finzi leckt auf grandiose Weise die Wunden seiner ramponierten Figur und lässt ihr die Kraft behutsam entweichen. Ein starkes Stück Theater.

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