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"Integration ist kein Hobby von Gutmenschen"

Von Peter Grubmüller   07.April 2015

In Europa nimmt die Migration jener Menschen, die sich als Muslime verstehen, seit 40 Jahren stetig zu. Diese Entwicklung führt zur Angst vor Islamisierung. Josef Hader besuchte für den Film "Morgenland im Abendland" der TV-Religionsreihe "kreuz und quer" jene Orte in Andalusien, wo das Zusammenleben von Christen und Muslimen von 711 bis 1492 einigermaßen funktioniert haben soll.

OÖNachrichten: Warum hat Sie die Epoche der Mauren in Spanien grundsätzlich interessiert?

Josef Hader: Als Schüler war Geschichte mein Lieblingsfach, und ich bin noch immer der Überzeugung, dass Geschichte hilft, die Gegenwart besser zu durchschauen. Diese Zeit der Mauren ist für uns so faszinierend, weil über Jahrhunderte viele Religionen zusammengelebt haben. Auf diese Epoche wird auch viel projiziert: Die einen sagen, es sei eine wunderbare Multikulti-Gesellschaft gewesen. Die anderen sagen: Das war überhaupt nicht so, ein Leben von Bürgern gleicher Stellung habe nie existiert. Sogar Historiker streiten darüber.

In dem Film fällt der Satz, die spanischen Araber hätten die Kultur, auf den anderen einzugehen, in Europa eingeführt. Wie haben Sie das selbst bei Ihren Recherchen erfahren?

Die Menschen waren damals nicht besser als heute, sondern sie haben gesehen, dass es für alle von Vorteil ist, wenn man zusammenarbeitet – deshalb haben sie es getan. Terror und Fanatismus war damals ein Monopol der Fürsten. Und da gab es wechselnde Allianzen. Auch bei diesen großen Schlachten Christen gegen Mauren haben auf beiden Seiten Christen und auf beiden Seiten Muslime gekämpft. Und alle miteinander waren es Spanier. Was ich bemerkt habe, ist, dass dieser Geschichtsabschnitt, weder in Spanien noch sonst in Europa, ein großes Thema ist.

Dabei fand damals ein unglaublicher kultureller Transfer statt ...

... eben! Was wir an Wissenschafts- und Bildungstransfer erlebt haben, ist durch dieses Maurenreich – sogar aus China – zu uns gekommen. Europa steckte im Frühmittelalter. Man hat den Eindruck, irgendwann begann die Renaissance, aber die hat nichts mit den Mauren zu tun, sondern wir entdeckten wie durch Zauberhand selbst den Humanismus. Dieser Transfer wird klein gehalten, weil die europäische Geschichtsschreibung über weite Teile eine christliche Geschichtsschreibung ist. Man wollte diesen Übergang mit einer Jahreszahl festgelegt haben – mit 1492 – , als das Mittelalter aufhört und die Neuzeit beginnt. Um diese Zeit fällt zufällig die Eroberung des letzten Emirats in Granada. Als wäre der Sieg über die Mauren der Anlass, dass wir das Mittelalter hinter uns gebracht haben.

Gab es damals mit heute Vergleiche von Ressentiments gegenüber anderen Religionen?

Ich hab’ mit Historikern gesprochen, die Schriften aus dieser Zeit untersucht haben. Natürlich war diese Zeit keineswegs von Toleranz geprägt. Es gab auch fanatische Christen, die Märtyrer werden wollten. Um in den Himmel zu kommen, sind sie verzweifelt herumgerannt und haben Allah samt Propheten verflucht. Sie waren dann ganz enttäuscht, als sie nur für verrückt erklärt worden sind. Es hat auch Zeiten gegeben, in denen Moslems empfohlen wurde, nicht an Kirchen vorbeizugehen, wenn die Kirchenglocken läuten – und keinen Wein zu trinken, wenn sie mit Booten fahren. Das heißt, es durften in Moslems regierten Gebieten sehr wohl Kirchen läuten, und es war in Ordnung, dass Moslems – zumindest an Land – Alkohol trinken. Das heißt, es gab eine Wertschätzung von kulturellen Errungenschaften – und auch für die Annehmlichkeiten, die daraus resultieren. Diese Toleranz ist im christlichen Nachfolgestaat über Jahrhunderte nie wieder erreicht worden.

Insofern ist Religion heute öfter Ursache für Gewalt als damals?

Ich sage vorsichtig, dass sehr rigide Machtsysteme – gepaart mit wirtschaftlicher Versorgung – weniger terroranfällig sind als die Gegenwart, die wegen eines hemmungslosen Turbokapitalismus vielen Menschen das Gefühl gibt, dass sie keine Lebensgrundlage haben. Weder im Islam noch im Judentum oder im Christentum gibt es heute eine Hauptströmung, die auf Konfrontation aus ist. Das Problem des Islam ist, dass er dezentral strukturiert ist: Das heißt, man geht zu einem Prediger und wenn einem der nicht gefällt, geht man zum nächsten. Das ist der Grund dafür, warum es so lange keine öffentliche Distanzierung von islamistischen Verbrechern gegeben hat. Niemand fühlte sich dafür verantwortlich.

Heißt das, im Islam fehlt ein Papst?

(Lacht) Dafür bin ich zu wenig religiös, um das bewerten zu können. Wenn ich religiös wäre, würde ich mich mir eher eine dezentrale Führung wünschen. Sonst bin ich davon abhängig, wer es wird, wenn uralte Männer alle 20 Jahre wählen.

Sie haben gesagt, Geschichte sei der Schlüssel, um die Gegenwart zu verstehen. Was haben Sie bei Ihren Recherchen gelernt?

Dass man sich zusammenraufen soll – auch wenn es nicht einfach ist. Jeder profitiert davon – andererseits leidet jeder darunter, wenn man das nicht schafft. Übersetzt heißt das, unser Zusammenleben, unsere Wirtschaft, unser Wohlstand kann nur funktionieren, wenn Integration gelingt. Politiker beginnen, das immer besser zu verstehen. Integration ist kein Hobby von Gutmenschen, sondern dringende, sachliche Notwendigkeit. Wir brauchen kluge Lösungen, die über den nächsten Wahltermin und über eine Schlagzeile in der Zeitung hinausgehen.

Nach Haders Film diskutieren Religionsexperten zum Thema "Islam – seine hellen und dunklen Seiten" (Diskussionsleiter: Günter Kaindlstorfer, ORF2, 23.30 Uhr).

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24. April 2024