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Franz Welser-Möst: "Wir Künstler sind nicht nur Prostituierte"

Von Peter Grubmüller   11.August 2012

OÖNachrichten: Sie haben alle Noten, die Bruckner Zeit seines Lebens geschrieben hat, tausendfach studiert. Wie schaffen Sie es, in Bruckners Werken etwas Neues zu entdecken?
Franz Welser-Möst: Das macht ein Meisterwerk aus. Man kennt ja auch die Beethoven-Symphonien rückwärts, und es fallen Ihnen trotzdem immer neue Zusammenhänge auf. Vor allem in dieser Fassung von der Vierten Bruckners. Sie ist ja erst vor einigen Jahren sozusagen entdeckt worden. Sie ist in der Tempogestaltung sehr interessant – vor allem bei den Rubati (Verlängerungen/Verkürzungen der Töne, Anm.), die er sehr genau hingeschrieben hat. Daraus ergeben sich Rückschlüsse auf seine früheren Fassungen.

Nicht jeder hat das Privileg, Musiker zu dirigieren. Fällt Ihnen eine Metapher dazu ein, wie man sich als Dirigent fühlt?
Ich hatte heute meine erste Reitstunde. Eine Freundin von uns ist Dressurreiterin, sie hat mir genau erklärt, wie das Pferd den Reiter spüren muss und dass sich gewisse Dinge nicht nur mechanisch mit Schenkeldruck übertragen lassen. Je besser und hoch gezüchteter das Pferd ist, desto mehr muss es den Reiter spüren. Bei einem Orchester ist das genauso. Die Kommunikation passiert mehr über das Spüren als dass wir unsere Zeichensprachen verwenden. Wenn man sich schon sehr gut kennt, wie das beim Cleveland-Orchester und mir der Fall ist, geht vieles mit Gedankenübertragung. Ich behaupte, die Musiker des Cleveland-Orchesters können meine Gedanken lesen.

Nun gibt es Dressurpferde, Springpferde, Vielseitigkeitspferde, Pferde zum Wanderreiten …
… (lacht) ein Orchester ist definitiv ein Dressurpferd.

Spüren Sie als Dirigent Macht?
Natürlich ist das Element Macht dabei, nur kommt es darauf an, wie man Macht versteht. Wenn man Macht für einen Egotrip verwendet, wird es gefährlich. Aber Macht in diesem Sinne, dass man sie nützt, um ein den Erwartungen entsprechendes künstlerisches Ergebnis zu erzielen, ist sie etwas Gutes. Vom Cleveland Orchestra und von mir erwartet man Höchstleistungen – dazu muss ich diese Macht benützen.

Die Salzburger Festspiele haben Halbzeit, Sie kennen den neuen Intendanten Alexander Pereira seit vielen Jahren …
... (lacht) ich kenn’ ihn besser als er sich selbst ...

… wie bewerten Sie die Entwicklung, die die Festspiele unter ihm genommen haben?
Es ist kein Zweifel, dass es wirtschaftlich ein großer Erfolg wird, dafür steht auch Pereira. Aber schon lange vor seiner Zeit habe ich gesagt, dass die Salzburger Quantität ein Widerspruch zur Qualität ist. Ich glaube nicht, dass man 256 Aufführungen auf einem Niveau anbieten kann, das solche Preise rechtfertigt. Das ist ausgeschlossen. Das Gegenteil wurde mir auch in diesem Sommer nicht bewiesen. Obwohl „Ariadne auf Naxos“ ein genialer Wurf von Sven-Eric Bechtolf (Salzburger Schauspiel-Chef und „Ariadne“-Regisseur, Anm.) war. Und Jonas Kaufmann war der beste „Bacchus“, den ich je gehört habe. Aber nicht alles findet auf diesem Niveau statt, trotzdem zahlt man 400 Euro für die Opernkarte.

2013 bekommt das Linzer Brucknerhaus mit Hans-Joachim Frey einen neuen künstlerischen Leiter, kennen Sie ihn?
Nein. Als ich im Dezember mit den Wiener Philharmonikern im Brucknerhaus war, wurde er mir von Herrn Winkler (Wolfgang Winkler, aktuell künstlerischer Leiter, Anm.) vorgestellt. Das war es.

Besteht die Möglichkeit, dass man Sie im Brucknerhaus wieder öfter sehen und hören wird?
Ich bin ein Konsumgut, das man einkauft, es liegt also am Einkäufer und nicht so sehr an mir. Es liegt auch an der Fantasie und an der Überzeugungskraft eines Veranstalters. Wenn Leute Ideen haben und leidenschaftlich sind, dann sind sie auch fähig, andere davon zu überzeugen. Wie Marcel Prawy bei der Trauerfeier zum Tod von Karl Gerbel (Vorgänger von Wolfgang Winkler, Anm.) gesagt hat: Er war der letzte echte Produzent. Gerbel war kein ausgebildeter Musiker, von Musik hat er nicht unbedingt viel verstanden. Aber er war ein leidenschaftlicher Veranstalter. Damit hat er es geschafft, ausgezeichnete Leute für das Brucknerhaus zu gewinnen.

Demnach sind Leidenschaft und Fantasie auch das richtige Rezept für das Linzer Musiktheater, das im April eröffnet wird …
... absolut! Natürlich ist es ein Geschäft, aber wir Künstler sind nicht nur Prostituierte, sondern wir sind ja auch Leute, die Leidenschaft haben und Leidenschaft erzeugen wollen. Es gibt Projekte, die man unbedingt machen möchte, dann macht man sie auch umsonst. Ich hab’ Herrn Mennicken (Rainer Mennicken, Intendant des Linzer Landestheaters, Anm.) auch gesagt, dass er mir für diese eine Zauberflöten-Vorstellung nur die Spesen für das Hin- und Herfahren während der Proben bezahlen soll. Ich gehe ja nicht hin und feilsche um 3000 Euro, das ist mir zu dumm. Ich verdiene eh genug. Manche Dinge mache ich, weil sie mir wichtig sind.

Hat man mit Ihnen gesprochen, um beim Musiktheater enger zusammenzuarbeiten?
Nein, das hab’ ich auch nicht erwartet. Ich bin aus dem Stadium heraußen, Erwartungen zu haben. Erwartungen werden ohnehin nur enttäuscht. Natürlich bin ich in Linz musikalisch groß geworden und habe dort bis 1985 mit dem Jeunesse-Orchester eine wunderschöne Zeit gehabt, aber ich muss immer schmunzeln, wenn das Land an meine patriotischen Gefühle appelliert.

 

Franz Welser-Möst

Werdegang: Franz Welser-Möst kam 1960 in Linz zur Welt, er besuchte das Linzer Musikgymnasium, wo Balduin Sulzer auf sein Talent aufmerksam wurde. Ein schwerer Autounfall beendete seine Karriere als Geiger, ab 1979 widmete er sich ganz dem Dirigieren und leitete bis 1985 das Jeunesse-Orchester. Von 1990 bis 1996 leitete er das London Philharmonic Orchestra, von 1995 bis 2002 war er Musikdirektor des Opernhauses Zürich, seit 2002 ist er Chefdirigent des Cleveland Orchestra und seit 2010 ist er Generalmusikdirektor der Wiener Staatsoper.

Konzert des Cleveland Orchestra mit Franz Welser-Möst: Anton Bruckner, Sinfonie Nr. 4., Stiftsbasilika St. Florian bei Linz, 1. September, 20 Uhr.

Nähere Informationen unter Tel: 0732/775230, www.brucknerhaus.at

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28. März 2024