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Ein schrecklich normaler Nationalsozialist

Von Christian Schacherreiter   04.März 2014

In seinem neuen Roman "Bitter" fragt Ludwig Laher, wie ein aufgeweckter, sozial integrierter und interessierter junger Mann innerhalb weniger Jahre zum Kriegsverbrecher und Massenmörder wird und nach Kriegsende mit einer Selbstverständlichkeit zur Tagesordnung zurückkehrt, als wäre alles nur ein Versehen gewesen. Am Ende steht ein dickes Fragezeichen. Trotz aufwändiger Recherche, kluger Fakteninterpretation und präziser politischer Vorstellungskraft.

Der Mann heißt Friedrich Bitter. Er stammt aus einer christlich-sozialen Familie, besucht in Wilhering und Ried im Innkreis das Gymnasium, erweist sich als intelligent und ehrgeizig, bringt es zum Doktor der Rechtswissenschaft und sympathisiert schon in den zwanziger Jahren mit dem Deutschnationalismus. Obwohl er während des Ständestaats im Staatsdienst arbeitet, wird er illegaler Nazi und macht nach dem Anschluss flott Karriere. Als Gestapochef von Wiener Neustadt führt der Familienvater und Frauenfreund erste Folterungen durch, und parallel zu seinem Aufstieg potenzieren sich seine Verbrechen. Ihren Höhepunkt erreichen sie, als Bitter, SS-Sturmbannführer und Gestapo-Chef – zuerst in Charkow, dann in Verona – maßgeblich an Massenmorden beteiligt ist.

Opfermythos

Nach Kriegsende scheint es eng zu werden für Bitter, aber dann nimmt seine Geschichte jenen Verlauf, der für viele NS-Verbrecher typisch ist: Bitter schafft es, sich vor dem Volksgericht herauszureden. Er ist ein Meister des Beschönigens, Bagatellisierens und Uminterpretierens. Letztlich stellt er sich selbst als Opfer dar. Und nicht nur das Netzwerk ehemaliger Kameraden hilft Bitter, sondern auch eine Justiz, die – teils desinteressiert, teils umnebelt vom österreichischen Opfermythos – ihrer Aufgabe halbherzig nachkommt. Als Bitter 1957 stirbt, steht auf der Parte: "Sein Leben war nur aufopfernde Liebe und treueste Pflichterfüllung." Man könnte kotzen.

Nicht zum ersten Mal entscheidet sich Laher für ein halbdokumentarisches Erzählverfahren, dennoch handelt es sich um einen Roman, denn Laher nimmt sich die Freiheit, Quellenlücken mit eigenen Vermutungen zu füllen und Situationen szenisch zu veranschaulichen. Ganz bewusst setzt er auch eine riskante Erzählperspektive ein. Eine auktoriale Erzählerfigur zitiert sarkastisch die Perspektive der Täter. Natürlich weiß man, wie Laher das meint, aber nicht jeder Leser wird es goutieren. Ob Banalität des Bösen oder Skrupellosigkeit aus krankhaftem Ehrgeiz, emotionale Kälte oder heiße Lust aufs Quälen – so wie bei vielen NS-Verbrechern ist auch im Fall Bitter die "Qualität" der kriminellen Energie nicht restlos zu klären. Aber Laher gelingt das Mögliche: Er macht einen konkreten Einzelfall als repräsentatives politisches Phänomen plausibel.

Ludwig Laher: "Bitter", Roman, Wallstein, 238 Seiten, 20,50 Euro.

OÖN Bewertung:

Laher liest

Mit seinem Roman „Bitter“ absolviert Ludwig Laher im März eine Lesungsreise durch Oberösterreich: 11. 3.: Ried im Innkreis (Riedberg-Pfarrsaal, 20 Uhr), 12. 3.: Wels (Schloss Puchberg, 20 Uhr), 20. 3.: Linz (StifterHaus, 19.30 Uhr), 21. 3.: Ostermiething (KultOs, 20 Uhr).

 

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