"Die Ärzte": Punkrock, Politik und Klosterfrau Melissengeist
OÖNachrichten: Nach „Geräusch“, „Runter mit den Spendierhosen, Unsichtbarer“, „Jazz ist anders“ jetzt „auch“ – wem gebühren die Credits für die grandiosen Albumtitel?
Bela B.: Die gehen bis auf die Gemeinschaftskreation „Spendierhosen“ alle an mich! (lacht). Bei „auch“ war es so, dass ich Plakatwerbungen für Alben anderer Bands gesehen habe und plötzlich eine Vision hatte: An all die Plakate mit „Das tollste Album von…“ oder „Der Superhit von…“ hängen wir einfach unser Plakat mit „Die Ärzte: auch“ dran. Denn alles, was an Superlativen für die anderen Bands gilt, trifft ja schließlich auch auf uns zu.
OÖNachrichten: Ist das von Farin geschriebene „Ist das noch Punkrock?“ der Versuch, alle Diskussionen über die Frage, wie viel „Punk“ noch in „Die Ärzte“ steckt, gleich mit dem ersten Song zu beenden?
Bela B.: Ich habe vor allem wegen der Zeile „Ist das noch Punkrock, wenn dein Lieblingslied in den Charts ist?“ für das Lied gestimmt. Sogar als ich noch als linker Nietenpunkrocker auf Anti-Reagan-Demos gegangen bin – da sieht man, wie alt ich bin –, wurde diese Diskussion bereits geführt. Außerdem, eine „Die Ärzte“-Platte, die mit den Zeilen „Fick dich und deine Schwester“ beginnt, hat definitiv schon was. Besser kann’s nicht losgehen… (lacht)!
OÖNachrichten: Der Song „Das darfst du“ dreht sich darum, sich zur Wehr zu setzen, aktiv zu werden und nicht die Angst regieren zu lassen. Quasi die Punk-Version von Stéphane Hessels „Empört euch!“ Was hat Sie zu diesem Song inspiriert?
Bela B.: „Empört euch“ hat mich total berührt und sicherlich unterbewusst beeinflusst. Als dieser Aufsatz rauskam, habe ich 20 Exemplare gekauft und an Freunde und Bekannte, vor allem an jene mit Kindern, verschenkt. Wir schlucken heute einfach immer mehr Ungerechtigkeit und Willkür. Ich schrieb das Lied noch vor den Demonstrationen gegen Stuttgart 21, die mich sehr bewegt haben. Dass da ganz normale Menschen auf die Straße gehen, um gegen Politikwillkür und Mauschelgeschäfte zu demonstrieren, während woanders gegen Nazis protestiert wird – das sind Sachen, die mir gefallen. Das Lied ist der Soundtrack dazu. Es ist der politischste Song auf der Platte.
OÖNachrichten: Werden Sie mit zunehmendem Alter immer politischer?
Bela B.: Nee, aber mit der Größe der Verantwortung. Und natürlich mit wachsendem Publikum. „Die Ärzte“ hätten ein Lied wie „Schrei nach Liebe“ nie in den 80ern herausbringen wollen. Mit den Pogromen in Rostock, Anfang der 1990er, den aufmarschierenden Nazis überall, war die Zeit dann aber reif. Ich will bis heute nicht den Fans dogmatisch etwas vorbeten, erst recht nicht mit dem erhobenen Zeigefinger mahnen. Das sind wir nicht. Musik ist dazu da, Gefühle zu wecken und im besten Falle die Hörer zu stärken oder zu sensibilisieren. Wenn das Gefühl des Aufbegehrens oder die Entscheidung, selbstbestimmter zu leben, nicht ohnehin schon in einem gärt, kann so ein Song das auch nicht wecken.
OÖNachrichten: Wie wird entschieden, welche Stücke auf der Platte landen?
Bela B.: Früher war klar: Farin hat das Hit-Gen und schreibt eben Nummern wie „Männer sind Schweine“. Und hin und wieder, etwa bei „Manchmal haben Frauen…“, gelingt mir auch so ein Song. Dieses Mal hatten wir so viel Material, dass wir der Einfachheit halber immer erst drei Songs am Stück aufgenommen haben. Einen von Farin, einen von Rod und einen von mir. Dann hat der Herr Urlaub allerdings noch dafür gekämpft, dass „Cpt. Metal“ doch aufs Album kommt, darum hat er jetzt eben einen Song mehr.
OÖNachrichten: Ist es nach 30 Jahren leichter, solche Entscheidungen zu fällen?
Bela B.: Altersmilde klingt vielleicht ein bisschen unvorteilhaft. Jeder ist diplomatischer geworden, kämpft nicht mehr mit allen Mitteln für seine eigenen Interessen. Das ist das Geheimnis: jede Menge Klosterfrau Melissengeist und dass wir aufeinander aufpassen. Wir haben totalen Respekt voreinander. Wenn es nur Freundschaft zwischen uns gäbe, würden Streitereien schnell persönlich werden. Dieser Respekt und der Blick fürs Ganze sind wichtiger als die Freundschaft, die viele in uns hineininterpretieren. Ohne Freundschaft könnte ich aber auch nicht monatelang mit zwei anderen Typen im Tourbus sitzen.