Buchtipp: Unglücklicher, schwerer junger Mann
Wolf Haas’ 13-jähriger Held auf dem Weg zum Idealgewicht und zur Liebe in einer 1970er-Jahre-Erzählung zwischen Autobiografie und Fiktion.
Der "junge Mann" ist 13 Jahre alt, einen Meter achtzig Zentimeter groß und 93 Kilo schwer, als er beschließt, abzunehmen. "Junger Mann" heißt der neue Roman von Wolf Haas, und am Ende der 238 Seiten wird der Titelheld um 15 Kilo leichter und um einiges an Lebenserfahrung reicher sein. Klingt unspektakulär? Ist unspektakulär. Und dennoch vergnüglich zu lesen.
Wolf Haas hat sich noch nie um die Grenze zwischen U- und E-Literatur Gedanken gemacht. Mit seinen Brenner-Krimis hat er ein Millionenpublikum erreicht und dennoch einen auch von Germanisten gewürdigten, ganz eigenen Stil in die österreichische Gegenwartsliteratur gebracht. Sein neues Buch ist sprachlich weniger eigenwillig und lässt sich an einem Strandnachmittag oder einem Herbstabend problemlos verschlingen, ohne sich mit diffizilen Finessen allzu lange aufhalten zu müssen. Dennoch bekommen die Exegeten eine Nuss zum Knacken: Wie viel Porträt des Dichters als "junger Mann" steckt in dem Buch? Zeit passt, Ort passt.
Doch eigentlich ist das egal. Im Zentrum dieser klassischen Coming-of-Age-Geschichte steht ein Gymnasiast, der im Sommer als Tankwart jobbt, eines Tages beschließt, sein Übergewicht loszuwerden, und sich unsterblich in eine junge Fernfahrer-Gattin verliebt. Wir schreiben das Jahr 1973, das Jahr der Ölkrise und der mit Pickerl an der Windschutzscheibe deklarierten autofreien Tage. Mit leichter Hand schafft Haas ein nostalgisches Zeitporträt des Aufwachsens im ländlichen Raum. Gleichzeitig führt er seine Story ganz dicht entlang des roten Fadens der Verliebtheit seines Protagonisten in die schöne Elsa.
Bald geht der deutlich jüngere Mann ein und aus bei ihr – um ihr Englischunterricht zu geben. Denn die junge Frau braucht mindestens einen Hauptschulabschluss, um auf die Krankenpflegeschule gehen zu können. Der Verliebte genießt die Nähe seiner Angebeteten, auch wenn er es nie schafft, ihr seine Liebe zu gestehen. Für die Flirt-Atmosphäre hat Haas ein echtes Händchen.
Absehbar ist allerdings, dass Elsas Gatte Tscho, ein James Dean des Transportgewerbes, von dieser Beziehung Wind bekommt. Doch die gemeinsame Lkw-Reise nach Griechenland, zu der er den jungen Mann nötigt, wird sich anders entwickeln, als dieser befürchtet, und auch die von Tscho mitgeführte Schusswaffe soll einem ganz anderen Zweck dienen, als den jungen Nebenbuhler aus dem Weg zu räumen. Aus der Love-Story wird ein Road-Movie, aus der schwierigen Frau-Mann-Problematik ein heikles, sehr ungleich geführtes Männergespräch, das schon deswegen nicht einfach ist, weil sich Tscho als großer Schweiger herausstellt.
Ganz anders Wolf Haas. Er verliert über seine Geschichte viele Worte. Aber dafür gibt es auch niemanden, der zwei Männer vier Seiten lang darüber reden lassen kann, wie auf dem Mount Everest gekochter Kaffee schmeckt, ohne dass es abgestanden wirkt. Und so nebenbei widmet sich Haas liebevoll auch einer Redewendung, die es längst verdient hat, Eingang in die österreichische Literatur zu finden: "Gegegeh". (whl)
Wolf Haas: "Junger Mann", Hoffmann und Campe, 240 S., 22,70 €