Lade Inhalte...
  • NEWSLETTER
  • ABO / EPAPER
  • Lade Login-Box ...
    Anmeldung
    Bitte E-Mail-Adresse eingeben
    Bitte geben Sie Ihre E-Mail-Adresse oder Ihren nachrichten.at Benutzernamen ein.

gemerkt
merken
teilen

Buchrezension: Erlitten, verschwiegen, verdrängt

25. April 2015, 00:04 Uhr
Erlitten, verschwiegen, verdrängt
Miriam Gebhardt betont in ihrem Buch, dass die Angehörigen aller Besatzungsmächte vergewaltigten. Bild: Oliver Rehbinder/DVA

Am Ende des Zweiten Weltkriegs wurden Hunderttausende Frauen vergewaltigt - von Angehörigen aller Besatzungsmächte. Christine Zeiner hat "Als die Soldaten kamen" gelesen.

Die Flugblätter sagen Schreckliches voraus. Die Kriegspropaganda des Reichsministers für Volksaufklärung, Joseph Goebbels, greift auch in den ersten Monaten des Jahres 1945. Der Nationalsozialist warnt vor der "Rache der Gegner", davor, dass das "bolschewistische Mordsgesindel" Frauen und Mädchen "schänden" und "abschlachten" werde. Mit "verbissener Standhaftigkeit" müssten – so Adolf Hitler an die Gauleiter – die Deutschen "die letzte Kraft einsetzen". So werden unter allen Alliierten die sowjetischen Soldaten auch am meisten gefürchtet. Über die Ankunft der US-Amerikaner ist dagegen auch Positives zu hören, wie Miriam Gebhardt in ihrem soeben erschienenen Buch "Als die Soldaten kamen. Die Vergewaltigung deutscher Frauen am Ende des Zweiten Weltkriegs" schreibt.

Zwischen Schrecken und Freude

"Die Amerikaner kommen!", zitiert sie Oswald Kullmann, damals Pfarrer in der Gemeinde Kleinbartloff in Thüringen. "Erregung, aber keine Schreckenserregung; eine Erregung zwischen Schrecken und Freude, aber mehr nach der Freude hin." Vor 70 Jahren befreiten die Alliierten Deutschland von der NS-Herrschaft. Unter den Soldaten aber gab es Männer, die Frauen, Kinder und Männer vergewaltigten. Auch Angehörige der Westalliierten begingen hunderttausendfach dieses Verbrechen. Doch in der Besatzungszeit wurde über die Vergewaltigungen, die die Alliierten begangen hatten, weitgehend geschwiegen – persönlich aus Scham und aus Sorge, als unsittlich zu gelten, und schließlich auch politisch, um den jeweiligen Verbündeten nicht schlecht zu machen.

Die DDR auf der einen Seite äußerte sich nicht zu Gewalttaten sowjetischer Soldaten. Auf der anderen Seite überlebte in der BRD einseitig das Bild vom "bösen Russen" und das Klischee vom amerikanischen Besatzungssoldaten, der charmant lächelnd Zuckerl und Zigaretten verteilt.

In ihrem Buch berichtigt und präzisiert Gebhardt die vorherrschenden Bilder von "gut" und "böse", ohne dabei die Täterschaft der Roten Armee klein zu reden. Gebhardt betont: Vergewaltigt hätten Angehörige aller Besatzungskräfte. Die allerwenigsten Betroffenen seien aber als Opfer anerkannt worden.

"Dieses Negerkind"

Die Autorin schildert den Fall einer Frau, die ihr aus einer Vergewaltigung entstandenes Kind in ein Heim gegeben hatte, aber für dessen Unterhalt aufkommen musste. Ihr aus dem Krieg zurückgekehrter Mann ließ sich scheiden, ihr neuer Partner weigerte sich, für "dieses Negerkind" zu bezahlen. Mitte der 1950er-Jahre wird in der Bundesrepublik schließlich über mögliche Alimente des Staates diskutiert. Von einem Schmerzensgeld an die vergewaltigten Frauen sei dabei aber keine Rede gewesen, sagt Gebhardt. Auf den Betroffenen sei der Verdacht gelegen, "fraternisiert" zu haben und nur zu behaupten, vergewaltigt worden zu seien. Das "Fraternisieren" hatten die Alliierten verboten: Den Soldaten war es untersagt, Freundlichkeiten und Intimitäten mit den Deutschen auszutauschen. Deutsche wiederum sprachen abfällig über Frauen, die Beziehungen mit den Besatzern eingegangen waren und beschimpften sie als "Flittchen" oder "Huren". Ihre Kinder wurden "Bastarde" genannt.

Doch herablassende Bezeichnungen wie "Ami-Liebchen" trafen auch Vergewaltigungsopfer: Über Wunden und Leid wurde selten gesprochen, stattdessen beschönigte man das Geschehene oder redete es klein. Weisheiten bildeten sich. Missbrauchte Frauen etwa hätten das Erlebte in einer Gemeinschaft der Gleichbetroffenen ohnehin "erstaunlich schnell weggesteckt". Über einen Missbrauch wurde laut Gebhardt vor allem dann gesprochen, wenn die Frau schwanger war, schwer verletzt oder wegen einer Geschlechtskrankheit behandelt werden musste.

Wie viele Frauen – und auch Männer und Kinder – am Ende des Zweiten Weltkriegs Missbrauchsopfer wurden, weiß niemand. Gebhardt errechnete eine Zahl von "insgesamt mindestens 850.000 Missbrauchsopfern", wobei demnach ein Drittel der Vergewaltigungen von westlichen Alliierten begangen worden ist.

 

Erlitten, verschwiegen, verdrängt
Miriam Gebhardt betont in ihrem Buch, dass die Angehörigen aller Besatzungsmächte vergewaltigten.

Miriam Gebhardt: "Als die Soldaten kamen. Die Vergewaltigung deutscher Frauen am Ende des Zweiten Weltkriegs", DVA, 352 Seiten, 22,70 Euro.

mehr aus Kultur

„The Sympathizer“: Kluge und spannende Satire

Immanuel Kant - Die Utopie des mündigen Menschen

LIVA: Brucknerhaus beendet Vertrag mit Künstleragentur

Linz verpasst sich neue Compliance-Regeln

Lädt

info Mit dem Klick auf das Icon fügen Sie das Schlagwort zu Ihren Themen hinzu.

info Mit dem Klick auf das Icon öffnen Sie Ihre "meine Themen" Seite. Sie haben von 15 Schlagworten gespeichert und müssten Schlagworte entfernen.

info Mit dem Klick auf das Icon entfernen Sie das Schlagwort aus Ihren Themen.

Fügen Sie das Thema zu Ihren Themen hinzu.

0  Kommentare
0  Kommentare
Zu diesem Thema wurden noch keine Kommentare geschrieben.
Neueste zuerst Älteste zuerst Beste Bewertung
Aktuelle Meldungen