„Biennale Cuvée“: Scharfe Mischung mit Prickel-Garantie
Zwei elendslange rotgemusterte orientalische Teppichläufer lässt Künstler Nevin Aladag aus den oberen Etagen des Offenen Kulturhauses (OK), liegen quer über dem großen Platz vor dem Kunsthaus. Kunst-Visitenkarte zur aktuellen „Biennale Cuvée“, die bis 2. Mai eine Weltauswahl der Gegenwartskunst nach Linz bringt.
Ein Meer von – ja, was ist’s denn eigentlich, das sich da über den blendend weißen Boden vor dem Foto eines eher nackten Atelierraumes kräuselt? Sind’s Blumen, zwischen denen sich Reste von Staubgefäßen ballen? Ein genauerer Blick zeigt: die zarten, blütenähnlichen Gebilde sind Abfälle vom Bleistiftspitzen. „Hannoun“ nennt Künstler Taysir Batniji seinen ästhetisch überaus reizvollen Material-Dialog, der auf einen ernsten Hintergrund verweist: Seit die Israelis 2006 die Grenzen dichtgemacht haben, kann der palästinensische Künstler nicht mehr in sein Atelier in Gaza.
Mit Witz und Ironie
Dieses Projekt ist symptomatisch für die Arbeiten, die derzeit in OK und Energie AG gezeigt werden und einen feinen, auch humorvollen, prickelnden, mit vielen Überraschungen akzentuierten Querschnitt durch internationale Biennalen des Jahres 2009 präsentieren. 29 Kunstprojekte von 33 Kunstschaffenden, die in Venedig, Istanbul, Lyon, Thessaloniki, Mechelen, Seoul, Taipeh, Sharjah oder Havanna zu sehen waren. „Trendsetter“, wie OK-Chef Martin Sturm sagt. Trendsetter, die symptomatisch sind für die aktuelle, die zeitgenössische Kunst.
Das betrifft die klar erkennbare Vorliebe für Arbeiten, denen performative Aktionen zugrunde liegen (wie etwa besagtes Bleistiftspitzen), auch die Auseinandersetzung mit politisch-gesellschaftlichen Fragen jenseits des rein Dokumentarischen. Auch die verstärkte Hinwendung zu Witz und Ironie, der zunehmende Bezug auf die Kunstbewegung des Dadaismus (gegründet um 1916).
Ein ebenso charmantes wie subtil kritisches Beispiel dafür ist das Projekt „Errorist Kabaret“ vom argentinischen Kunstkollektiv Etcétera. Ein Argentinien-Besuch von George W. Bush gab 2005 den Impuls für eine Gegenbewegung zur Sucht nach Effizienz. Der „Fehler im System“ wird als produktive Qualität gefeiert. Das schaut im OK folgendermaßen aus: Lebensgroße Pappfiguren von Intellektuellen und Revolutionären begegnen den Besuchern in knallrot ausgemalten Cabaret-Räumen, philosophieren mit uns per Sprechblasen. Papp-Accessoires und Erroristen-Gemälde schaffen eine surreale Welt, die das Hecheln nach Besitz grandios ad absurdum führt.
Poesie im Fehlermodus
Subtil austarierte Traumorte liefern auch der Spanier Carlos Coronas und der chinesische Künstler Chu Yun. Coronas inszeniert eine feine Satire auf die leeren und unrealistischen Versprechen des „Goldenen“ Westens: ein Inselmodell aus dem berühmten Buch „Utopia“ vom großen englischen Humanisten Thomas Morus (1478–1535) kauert unter einer wunderschönen, riesigen, schwebenden Skulptur aus Neonröhren. Und Chu Yun schuf in einem völlig abgedunkelten Zimmer ein berückend poetisches Lichtfunkeln. Quelle: alltägliche (nicht sichtbare) Elektrogeräte, die im Pause- oder Fehler-Modus blinken.
Von unentrinnbarer Unmittelbarkeit sind auch die tausenden, wie Comics wirkenden Zeichnungen von Haejun und Donghwan Jo. Vater und Sohn aus Korea, die Krieg und Kunstgeschichte reflektieren. Fein, dass man genau hier beim Verlassen des OK flugs imNextcomic-Festival landet und dort etwa auf Arbeiten des hochbegabten Song Yang trifft, der seinerseits eine „Cuvée“ in seinem virtuosen Stilmix weiterführt.