53 Herzen schlagen für die Kulturhauptstadt Ruhr
Stahl, Kohle und Arbeit lockten die Menschen vor 150 Jahren ins Ruhrgebiet, heuer ist es die Kultur. Ein Besuch in Essen und Dortmund, zwei der 53 Local Heroes von „Ruhr 2010“, führt eine einstige Industrieregion vor Augen, die nun die Kultur und Kreativwirtschaft für sich entdeckt. Mit Erfolg. Wie Linz.
Als Stahlstadt, neben der Kohle, hat Essen manches mit Linz gemein. Spätestens 2011 auch eine Vergangenheit als Kulturhauptstadt Europas. Wenngleich Essen Titelträgerin ist, teilt sich die Stadt ihren Status mit 52 weiteren der Region, den „Local Heroes“ von Ruhr 2010. Sie verbindet vor allem eines: Der Wunsch, „das Gebiet als Einheit erlebbar und fühlbar zu machen“, sagt Heinz-Dieter Klink, Aufsichtsratsmitglied von Ruhr 2010.
Um ihn zu verwirklichen, steht der Region ein Gesamtbudget von 69,5 Millionen Euro zur Verfügung, kaum mehr als Linz09 mit 68 Millionen Euro. „Wir müssen vieles nicht neu erfinden, sondern nur neu verkaufen. Das ist unsere Stärke“, erklärt Klink.
Inspiration für Tabakfabrik
In der Tat hat die einstige Industrie-Region viel Kultur zu bieten, nicht nur 200 Museen, 120 Theater, 100 Konzerthäuser und auch 19 Universitäten. Ein Herzstück der Region ist die Zeche Zollverein in Essen. Das 1986 stillgelegte Steinkohlebergwerk zählt heute zum UNESCO-Weltkulturerbe. „Sonst haben wir eine Million Besucher pro Jahr. Das hatten wir in diesem Jahr allein bis Ende Juni“, sagt der Pressesprecher des Zollvereins.
Nicht nur äußerlich lässt das rote, imposante Backsteingebäude sofort an die Linzer Tabakfabrik denken: Ein Kunstschacht, ein Zentrum für Tanz und Performing Arts, eine Keramikwerkstatt, ein Museum – das hundert Hektar umfassende Areal wird heute vielseitig genutzt für kulturelle Zwecke und für die Kreativwirtschaft. Das lässt Linzer Herzen hoffend höher schlagen: Die alte Zeche wäre, von der Idee her betrachtet, ein Vorbild par excellence für Linz, das mit seiner Tabakfabrik bekanntlich eine Riesenchance sein Eigen nennen darf.
Eine freudige Fast-Begegnung am Gelände der Kokerei: „Nein, leider“ sei Elisabeth Fuchs noch nicht da, lässt eine junge, cellobepackte Musikerin unterwegs zur Probe die Linzer Delegation wissen: Mit der Jungen Salzburger Philharmonie und Beethovens Neunter gibt die oberösterreichische Dirigentin just an diesem Tag im Zollverein ein Gastkonzert.
Von Essen führt die Kulturhauptstadt-Expedition weiter nach Dortmund. In der 587.000 Einwohner zählenden Stadt ist soeben ein neues Kulturzentrum gigantischen Ausmaßes im Entstehen: Das „Dortmunder U – Zentrum für Kunst und Kreativität“ weckt eher dem Namen nach Assoziationen zum kleinen, feinen Linzer U-Hof. Ursprünglich eine Brauerei (das „U“ steht für Union-Bier), wird auf dem um- und ausgebauten Gelände bereits ab Sommer eine Quelle für (Medien-)Kunst und Kultur sprudeln, an der sich vor allem junge Talente laben sollen: „Durch den Aufbau von Strukturen vor Ort systematisch Talente zu fördern, ist unser Ziel. Nur wer wirft, wird fangen“, betont Heinz Meyer vom Kulturinstitut Emscher-Lippe, treuer Begleiter der Linzer Delegation.
Das Mittagessen beschert ein herzliches Wiedersehen: Gabriele Förster, bis vor kurzem Leiterin der Buchhandlung „Thalia“ in Linz, ist seit Mai in Dortmund, um eine neue Filiale aufzubauen. „Die Menschen haben die Verknüpfung zwischen Industrie und Kultur geschafft und sind stolz auf ihre Industriekultur“, beobachtet sie und erzählt von einem originellen Ruhr-2010-Projekt. So machten sich erst kürzlich 60.000 Neugierige am „Singing Day“ ins Stadion auf, um gemeinsam alte Bergbaulieder zu singen.
WM- statt Ruhr-2010-Weckerl
Ein Wiedersehen, das nicht das einzige bleiben soll. Im Kunsthaus Dortmund sind nicht von ungefähr Arbeiten des Linzer Künstlers Kurt Lackner zu bewundern: Die geknüpften Bande mit dem neuen Linzer Salzamt sind stark und und zukunftsweisend.
„Es klappt“, ist Meyer mit der bisherigen Ruhr-2010-Bilanz zufrieden, deren Zahlen alle bisherigen Erwartungen bei weitem übertreffen. Ruhr 2010 scheint sogar auf dem besten Weg, in die Annalen der Kulturhauptstädte einzugehen (siehe Beitrag unten). „Zufrieden“ sei man auch mit den Reaktionen der Medien.
Einzig gegen die Fußball-WM scheint die Kultur derzeit machtlos. So lockt in der Auslage einer Essener Bäckerei ein saftiges WM-Weckerl, ein Ruhr-2010-Weckerl sucht das hungrige Auge vergeblich. Aber vielleicht hat auch nur der Vorrat nicht gereicht …