"Mary Shelley": Wie der menschliche Horror Mary Shelleys Monster formte
Ein neuer Film schildert das Leben der Frankenstein-Erfinderin.
Man braucht es gar nicht schönzureden. Hätte Kenneth Branaghs Film mit Robert DeNiro im deutschen Raum nicht "Mary Shelleys Frankenstein" (1994) geheißen, würde es noch weniger Bewusstsein dafür geben, dass diese ikonische Horror-Figur von einer Frau erschaffen worden ist.
Der aktuelle Kinofilm "Mary Shelley" von Haifaa Al Mansour will das ändern und eine Schieflage geradebiegen. Denn die Kreatur Frankenstein – Resultat eines törichten Experiments, das Leben über den Tod siegen zu lassen – taucht hunderte Male in der Kinogeschichte auf. Mary Shelley hingegen war bis jetzt ein Geist.
Bei Al Mansour scheint diese Aufgabe in den besten Händen zu sein. Brach die 1974 in Saudi-Arabien geborene Filmemacherin doch in einer von Religion und Männlichkeit geformten Gesellschaft als erste Filmemacherin der Emirate ("Das Mädchen Wadjda") die Regeln eines antifeministischen Systems – wie es Shelley, im Film von Elle Fanning gespielt, im britischen Königreich Anfang des 19. Jahrhunderts tat.
Doch anders als erwartet, geht die Regisseurin einen seltsam holprigen Weg, bis sie den richtigen Ton setzt. Mary ist eine plakativ unterdrückte 16-Jährige im dreckigen, doch irgendwie mystischen und von Standesdünkel durchzogenen London: Tochter des politischen Philosophen und Buchhändlers William Godwin (Stephen Dillane), deren Mutter, eine Pionierin als Frauenrechtlerin und Schriftstellerin, kurz nach Marys Geburt starb.
"Ich habe sie umgebracht", sagt die Tochter einmal, die so sehr unter der "bösen" Stiefmutter leidet. Mit diesem Satz legt Al Mansour langsam eine Fährte, die später zu den Emotionen führt, die Shelley in ihr literarisches "Monster" packte. Schuld, Einsamkeit, das Gefühl, ein radikaler Fremdkörper zu sein, der mit seiner Art zu leben die brav eingerichtete Umwelt irritiert, fordert.
Doch das dauert. Die Bilder, die die Epoche und ihre Sprache feiern, fließen dahin wie dunkler Honig, Kerzenlicht und braunes Interieur prägen Schreibstuben, die Natur, den Landsitz in Schottland, wo der Vater seine Rebellin parkt. Alles schwer romantisch und voll Empfindsamkeit.
Als sich Mary in den 21-jährigen Poeten Percy Bysshe Shelley verliebt und mit ihm flieht, startet nach einem kurzen Jugenddrama im "Sturm und Drang"-Stil die starke, tiefergehende Tragödie der Mary Shelley. Zwischen Emanzipation und Freiheiten, die anderen doch die Würde nehmen, Dandytum – Tom Sturridge gibt einen beinhart exzentrischen Lord Byron – und Vernunft, die nicht verkopft ist, sondern von Respekt zeugt. Fanning hat für jede dieser Lebenslagen ein Gesicht, das passende noch dazu. Ihre Augen erzählen exzellent vom Horror der Menschen.
Die echte Mary Shelley hätte daran wohl ihre Freude gehabt.
"Mary Shelley": GB/USA/LUX, 2017, 120 Min.,
OÖN Bewertung:
Der Trailer zum Film:
Zur Person
Mary Shelley (1797–1851) legte 1818 mit „Frankenstein“ ein Schlüsselwerk der fantastischen Literatur vor. Ihre Beziehung mit dem verheirateten Dichter und Atheisten Percy Bysshe Shelley war ein Skandal, sie brach mit ihrer Familie. Er ertrank mit 29 beim Segeln. Danach arbeitete Mary, Mutter eines Sohnes, weiter als Autorin. Sie starb vermutlich an den Folgen eines Hirntumors.