"Green Book": Ein ungleiches Kino-Duo nimmt ordentlich Fahrt auf
Der Oscar-Anwärter "Green Book" ist ein mitreißendes Roadmovie.
Dass das Auto im Kino das Vehikel zur Freiheit schlechthin sein soll, ist eines der schönsten Missverständnisse. Der fünffache Oscar-Kandidat "Green Book" klärt darüber auf – hinreißend amüsant. Für Tony "Lip" Vallelonga, gespielt von Viggo Mortensen, und Dr. Don Shirley, den Mahershala Ali gibt, gerät ihr 1962er Cadillac Sedan DeVille zur Zelle einer Zweckgemeinschaft.
Damit Tonys Familie nicht bald hungert, heuert er als Chauffeur für den virtuosen Pianisten Shirley an. Eine Konzerttour führt sie in den 60ern in den tiefsten US-Süden. Was für ein Duo: der schwarze, distinguierte Gentleman-Intellektuelle auf der Rückbank, der Italo-Amerikaner und Arbeiterklasse-Held am Steuer, bärbeißig wie grobschlächtig. Dazu heimlich "ein bisserl" rassistisch und im Umgang wie Sprengstoff. Lange nach dem Film muss man über dieses Paar, das es tatsächlich gegeben hat, noch schmunzeln. Sowie darüber, dass passiert, was man erwartet, aber so, wie man es sich kaum vorgestellt hätte. Weil Tony etwa gar nicht explodiert.
"Green Book" gerät in der Regie von Peter Farrelly zu einer außergewöhnlich ruhig und schön komponierten Annäherung zweier Männer, die viel an den Tag legen könnten, was sie unsympathisch erscheinen ließe: In Shirleys Fall etwa der Hochmut des Bessergestellten, bei Tony kann es sich jeder selbst denken. Aber man mag sie einfach, weil Farrelly schnell spüren lässt, dass sie herzensgute Kerle sind.
Fremdeln, dann Freundschaft
Und man mag es auch, wie sie zuerst fremdeln, sich dann kennen lernen und umso mehr Achtung und Zuneigung füreinander entwickeln, je weiter sie von ihrem Zuhause wegkommen. Dazu tragen die Oscar-nominierten Darsteller bei: Man kann sich kaum daran sattsehen, wie Mortensen mit vollem Mund quatscht und qualmt, zwischen Lässigkeit und Grundnervosität mäandert. Ali ist der stattliche Gegenpol zu diesem ungehobelten Rohdiamanten: stets kühl, klar, kontrolliert. Die bloße Spitze eines Kinns sagt: Das goutiere ich. Oder eben nicht.
In der US-Presse wurde "Green Book" jedoch teils so eiskalt begrüßt wie Shirley im US-Süden. Der Film zementiere Klischees. Das mag man so sehen.
Doch enthüllt wird nichts Reaktionäres, sondern ein Spiegel noch aktueller Verhältnisse. Gerade weil sich im Film die Verhältnisse verkehren. Wohlhabende Weiße stellen den schwarzen Klavier-Könner in ihren Herrschaftssitzen aus. Doch anders als erwartet ist Tony nicht bei ihm. Er schaut von draußen zu – mit den übrigen Bediensteten. Unabhängig von der Hautfarbe ist es die Scheinmoral der Reichen, die beide an den Rand stellt. Davon hat sich die Welt längst nicht befreit.
> Ein Interview mit Viggo Mortensen lesen Sie hier
"Green Book": USA 2018, 130 Min., Peter Farrelly
OÖN Bewertung:
Der Trailer zum Film: