"Victoria und Abdul": Die Monarchin und ihr Diener

Von Silvia Nagl   30.September 2017

Wenn die Kamera in Großaufnahme dieses schöne, alte, faltige, ungeschminkte Gesicht mit den traurigen wässrigen Augen zeigt, dann spiegelt es jene Einsamkeit und Verbitterung wider, die eine Herrscherin wie Königin Victoria (1819–1901) wohl verspürt haben muss gegen Ende ihres Lebens und ihrer 64 Jahre dauernden Regentschaft. Judi Dench (82) zeigt dieses Gesicht, die dünnen grauen Haare, die braun verfärbten Zähne – und diese großartige Charakterdarstellerin trägt diesen Film, der – wie es so schön im Vorspann heißt – "auf wahren Bebenheiten beruht ... größtenteils."

Tatsächlich gab es diese eingenartige Beziehung zwischen der Königin des Vereinigten Königreiches von Großbritannien und Irland sowie Kaiserin von Indien und dem indischen Diener.

Regisseur Stephen Frears geht kaum einem Klischee aus dem Weg, zeigt das Gewurle in den Gassen voll bunt gekleideter Menschen in Indien ebenso wie den ständig um die Königin wuselnden und buckelnden Hofstaat. Der Erstauftritt der Monarchin zeigt einen schnarchenden Fleischberg im Bettdeckengewirr, das von den Hofdamen angekleidet wird. Beim Essensempfang schlingt und schlürft sie unappetitlich alles hinunter, was ihr vorgesetzt wird. Sie hat keine Lebensfreude mehr, bis sie Abdul kennenlernt. Er, der Muslim aus Indien, wird ihr Berater, Vertrauter und Seelentröster, was Sohn und Hofstaat natülich mit Argusaugen sehen.

Tagebücher des Abdul

Ali Fazal gibt dem Abdul eine frische Fröhlichkeit und Unbekümmertheit. Die Königin kleidet ihn in schöne Kostüme. Herrlich vor allem das Picknick unter freiem (Regen-)Himmel in Schottland, bei dem er in kratziges Schotten-Karo gewandet ist.

Die Geschichte stimmt tatsächlich – größtenteils eben. Die Tagebücher des echten Abdul Karim, der auf Fotos ein dicker und gar nicht so fescher Inder ist wie Ali Fazal im Film, wurden 2010 gefunden.

Stephen Frears’ Version wird manchmal ein wenig zu rührselig, wenn Blicke einander treffen und Hände sich berühren – besonders bei der Sterbeszene.

"Victoria und Abdul", USA 2017; 115 Min.

OÖN Bewertung: