"Moonlight": Schwul, schweigsam, unter Gangstern

Von Nora Bruckmüller   27.Februar 2017

Wenn die Zusammenfassung eines Films anstrengender klingt als die einer Nachrichtensendung, fragt man sich zu Recht: Will ich mir das "geben"?

Vielen Filmfans ergeht es so bei „Moonlight“. Die Regiearbeit von Barry Jenkins, der auch das Drehbuch geschrieben hat,  handelt vom Erwachsenwerden eines schwarzen Buben in Miami.

Und weil „normaler“ Rassismus für ein ausgewachsenes Drama zu wenig scheint, muss der neunjährige Chiron damit leben lernen, dass er arm, ohne Vater und zwischen Drogendealern aufwächst und immer stärker spürt, dass er sich zum gleichen Geschlecht hingezogen fühlt.

Doch wer sich von dieser geballten Härte abhalten lässt,  ins Kino zu gehen, versäumt jedoch eine wunderschöne, mutige Inszenierung. Weil Jenkins sich getraut hat, zart zu sein und keinen Film gedreht hat, in dem Brutalität, Rohheit und Härte absolute Größen sind.

Natürlich sind  in Chirons Leben – der Zuschauer begleitet ihn als Kind (Alex Hibbert), Jugendlichen (Ashton Sanders) und jungen Mann (Trevante Rhodes)– Probleme die Konstanten. Aber nur, weil er nicht die „Gnade der Geburt“ als weißer, reicher Heterosexueller erfahren hat, bedeutet das nicht, dass er keine Momente bedingungsloser Liebe kennt. Das Exquisite an „Moonlight“ ist,  wie raffiniert, unberechenbar Jenkins das Berechenbare, das Schlechte, und das Unberechenbare, das Glück, in Episoden miteinander verwebt.

So trifft der kleine Chiron auf seinen Ziehvater Juan (Mahershala Ali), weil ihn dieser aus einem Verschlag herauslockt. Der Ort, wo sonst Junkies Drogen drücken, war dem Buben gut genug, um den Prügeln seiner Schulkollegen zu entgehen. Chiron schweigt viel und gerne, aber Juan versteht ihn ohne Worte. Der Hüne mit dem Ghetto-Bling-Bling gebärdet sich als König seines Crack-Bezirks, als„cooler Nigger“ (Zitat!),  schmilzt vor Stolz, während er Chiron das Schwimmern beibringt, und erklärt ihm liebevoll, ruhig, dass er einmal von selbst wissen wird, ob er Buben oder Mädchen mag. 

Es sind Momente, die das Herz aufgehen lassen, die sich mit Momenten abwechseln, die einem Schlag gleichkommen. Wenn Chiron gemobbt wird, weil er ruhig ist, als Teenager als „Schwuchtel“ beschimpft wird, geschlagen wird, seine Mutter Paula (Naomie Harris) in die Sucht abrutscht, mit Stoff, den sie von Juan gekauft hat.

Es ist ein ewiges Pendeln, voll Großaufnahmen starker Gesichter, ruhigen Landschaftsbildern, in denen die typischen Miami-Farben – Babyblau, Lavendel, Türkis, Zitronengelb – die Kulisse für verstörende, hektisch festgehaltene Episoden von Machokultur sind.

Innerhalb dieser elektrisierenden Konstellationen enthüllt Jenkins Stärken und Schwächen der Männlichkeit nicht, er legt sie frei – behutsam, Schicht für Schicht, ermöglicht durch authentische, atemberaubende Schauspielleistungen. Ein großartiger Film, weil er nicht amerikanisch ist – im  Sinne der Cowboy-Mentalität Donald Trumps, nicht schwarz oder weiß, sondern facettenreich menschlich. Man „gibt“ sich „Moonlight“ nicht, man wird damit beschenkt.

Moonlight: USA 2016, 111 Min., Regie: Barry Jenkins
6/6 Sternen

Ab 10. März im Kino