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Herr Bottura, was wollen Sie noch?

Von Philipp Braun, 03. Juni 2017, 00:04 Uhr
Herr Bottura, was wollen Sie noch?
Massimo Bottura ist laut diverser Ranglisten einer der besten Köche weltweit. Sein Ziel: mehr Bewusstsein für Lebensmittel schaffen. Bild: Caritas Ambrosiana

Der Italiener Massimo Bottura ist laut "The World's 50 Best Restaurants" aktuell Europas bester Koch, weltweit die Nummer zwei, kocht für arme Menschen, ist ein Testimonial von Gucci, Kunstsammler und Ducati-Fahrer. Was er noch erreichen will, erzählte er Philipp Braun.

Die Obamas, Angela Merkel und das schwedische Königspaar wurden vom Italiener Massimo Bottura genauso bekocht wie arme Brasilianer während der Olympischen Spiele 2016 in Brasilien oder die Erdbebenopfer in Mittelitalien. Botturas Kochkünste sind beeinflusst von bildender Kunst und Musik. Er selbst will Bewusstsein schaffen, plädiert für mehr Tiefgang, Fantasie und Verantwortung im Leben und richtet mit seiner Stiftung "Food for Soul" den Fokus auf die Vermeidung von Lebensmittelmüll. Seine Osteria Francescana in Modena wurde 2017 zum besten Restaurant Europas gewählt. Am Dienstag referierte der Kochkünstler auf Einladung des Gastronomie-Magazins Rolling Pin bei den "Chefdays" in Graz über seine Philosophie. Die OÖN trafen ihn danach für ein Interview.

 

OÖNachrichten: Herr Bottura, Sie wurden vergangenes Jahr auf der Liste der "The San Pellegrino World’s Best 50 Restaurants" als bester Koch weltweit gekürt. Heuer folgte erneut ein Spitzenplatz, Rang zwei. Was bedeuten diese Erfolge für Sie?

Bottura: Ich war bereits die vergangenen fünf Jahre immer unter den Top 3 der besten Restaurants. Freilich ist das extrem wichtig für mich, weil man mit diesen Ehrungen auch in der Öffentlichkeit viel stärker wahrgenommen wird. Aber nur in Nummern zu denken, ist kindisch. Nummer eins, zwei oder drei zu sein? Was bedeutet das letzten Endes? Es ist sehr infantil, immer nur in diesen Kategorien zu grübeln. Meine Gedanken kreisen um wichtigere Dinge.

Zum Beispiel?

Demnächst eröffne ich zum Beispiel die "Food for Soul Kitchen" in London (Anmerkung: am 5. Juni). Mit der Schaffung eines Refettorios (Speisesaal) machen wir auf Lebensmittelverschwendung aufmerksam und erzeugen Bewusstsein (Anmerkung: In Kooperation mit dem "Projekt Felix" kochen abwechselnd mehr als 30 ausgewählte Spitzenköche von Montag bis Freitag Mittagessen für Bedürftige und Obdachlose und verwenden dabei genießbare Lebensmittel, die sonst aussortiert worden wären). Wir wollen dahingehend weitere Projekte etablieren und sind mit dem Vatikan ebenso im Gespräch wie mit der Rockefeller Foundation, um überall die Wertigkeit von Lebensmitteln zu betonen. Wenn man sich mit diesen Dingen beschäftigt, bekommt Essen einen ganz anderen Stellenwert. Nur Ignoranten denken einzig und allein an die Rangliste: "Wer ist auf Platz eins, zwei oder drei."

Sie sagen auch, dass Kultur unabdingbar für den Erfolg sei, und versuchen dabei, den Konnex zu Lebensmitteln zu ziehen?

Lassen Sie mich Folgendes erklären. In Italien haben wir die Osteria, welche als Ideenlabor bezeichnet werden kann. Wir exportieren diese Gedanken durch Kultur, Wissen, Bewusstsein und Verantwortungsgefühl. Wenn du ein Verantwortungsbewusstsein besitzt, teilst du das mit anderen und gibst in erfolgreichen Zeiten etwas zurück. Menschen mit Kultur und Anstand reden miteinander, anstatt gleich zur Waffe zu greifen.

Könnte diese Rückbesinnung auf immaterielle Werte ein Trend werden und damit andere Köche beeinflussen? Oder ist es zum Scheitern verurteilt?

Ich hoffe sehr, dass ich die junge Generation dazu bewegen kann, dass sie sich wieder mehr für Bücher, Zeitungen oder Gedichte interessiert und verstärkt liest, anstatt sich in Mobiltelefonen zu verlieren. Problematisch sehe ich allerdings, dass es in der heutigen Gesellschaft schwierig ist, sich den eigenen Interessen zu widmen. Es zahlt sich heutzutage nicht aus, für das kulturelle Erbe einzustehen.

Kritiker behaupten, dass Sie durch Ihre Kochkunst und Ihre extravaganten Menüs die italienischen Werte und die kulinarischen Traditionen in gewisser Hinsicht leugnen?

Ich denke, dass die Menschen, die das behaupten, noch nie bei mir essen waren und meine Tagliatelle al ragù gekostet haben. Dann wüssten sie mehr über Essen und Traditionen. Meine Gerichte gehen wahrscheinlich respektvoller und ehrlicher mit Zutaten um, als es die traditionelle Küche je getan hat. Aber was ist traditionelle Küche überhaupt? Als sie entstanden ist, war sie innovativ und hat sich danach über Jahrzehnte hinweg zu einem traditionellen Gericht entwickelt. Ich beziehe mich dabei gerne auf den chinesischen Konzeptkünstler Ai Weiwei, der gesagt hat, dass er nicht die Vergangenheit verteidigen, sondern das Vergangene neu aufbauen will. Mit neuen Augen und einem zeitgemäßen Geist. Die Zeit verändert sich. Traditionen werden jeden Tag erneuert und entwickeln sich. Wenn ich heute eine Cotechino (traditionelle Wurst aus der Emilia-Romagna) esse, die wie vor 500 Jahren produziert worden ist, würde ich auf der Stelle krank werden. Aber wie sie heute hergestellt wird, ist sie hervorragend und köstlich.

Was macht Ihre Küche in der Osteria Francescana so besonders?

Das Wichtigste ist der Gaumen. Durch den Geschmack kann ich mit dem Gast in einen Dialog treten. Und ich möchte Emotionen hervorrufen, die direkt ins Herz gehen. Wenn wir uns an die Kindheit zurückerinnern, schafften es unsere Mütter vorzüglich, die Liebe zum Essen zu vermitteln. Unsere Herzen waren offen für alle sinnlichen Eindrücke, die unsere Mama beim Essen erzeugte. Alles war einzigartig. Heute gibt es tausende von hervorragenden Restaurants, in denen man unglaubliches Essen bekommt. Aber wollen wir wirklich nur eine weitere perfekte Mahlzeit? Das Schwierigste ist, Emotionen zu schaffen, diese zu vermitteln und ins Herz zu schauen.

Wenn sich bei Ihnen ein Koch für einen Job bewirbt...

(Bottura unterbricht und lacht) ...ist er auf einer langen Warteliste mit 1980 anderen Personen.

Und wenn er vorne eingereiht ist – was muss ein Koch mitbringen, um bei Ihnen anfangen zu dürfen?

Ich möchte das Funkeln in seinen Augen sehen. Sicher ist der Lebenslauf auch wichtig, aber nicht das Wichtigste. Das Glitzern und die Bereitschaft, etwas zu machen, muss vorhanden sein. Ich muss die Leidenschaft spüren. Die jungen Köche müssen auch wissen, wer sie sind, und ihre Limits kennen. Dann können sie daran arbeiten. Das ist das Geheimnis – zu wissen, wer man ist. Ich empfehle den Jugendlichen immer, sich die Welt anzuschauen und zu lernen. Aber stets mit einem weisen und offenen Blick. Die Köche sollen wie ein Baum langsam wachsen, Wurzeln schlagen und dabei nie ihre Herkunft und ihr kulturelles Erbe aus den Augen verlieren.

Sie haben bereits für die Obamas, Angela Merkel, die Könige von Spanien und Schweden gekocht. Was wollen Sie noch erreichen?

Weltweit müssen 860 Millionen Menschen hungern. Zugleich sind 1,5 Milliarden Menschen übergewichtig, und es werden 1,3 Billionen Tonnen an Lebensmitteln jedes Jahr weggeschmissen. Das ist deprimierend. Ich will mit Kreativität gegen diese Lebensmittelverschwendung ankämpfen und habe deswegen die Stiftung "Soul for Food" ins Leben gerufen. Ich habe zu meiner Frau gesagt, dass ich meine Bekanntheit nicht dazu nutzen möchte, das verdiente Geld in die eigene Tasche zu stecken, sondern es vielmehr in die Stiftung einfließen lassen will.

Wollten Sie nicht auch eine Universität gründen?

Ja, in der Nähe von Modena, ein schönes Bauernhaus aus dem 17. Jahrhundert, welches gerade wiederhergestellt wird und wo gelehrt werden soll, wie man Kühe melkt und eine Landwirtschaft betreibt. Es wird ein Platz, wo die Studenten erfahren, wie Lambrusco, Parmesan oder Balsamico-Essig hergestellt werden. Ich möchte Köche und Bauern mehr vernetzen. Produzenten sollen mehr über Geschmack lernen und Küchenchefs mehr über den Boden. Dann werden die Zutaten respektvoller behandelt. Und wenn ich die Bauern und Fischer besser kenne, schmecken auch die Gerichte vorzüglicher.

Viel Zeit bleibt nicht mehr für Privates. Was machen Sie, wenn Sie zuhause sind? Was kochen Sie für sich, was trinken Sie, wenn Sie frei haben?

Solche Tage gibt es nicht. Ich lebe mit der Musik und der Kunst, die mich den ganzen Tag begleitet. Das ist mein Leben, vollgepackt mit Leidenschaft. Und ich habe den ganzen Tag Augen und Ohren offen für das Unerwartete und will mich auf das Unvorhergesehene einlassen. Das inspiriert mich. Das kann ein Saxophonsolo, die am besten schmeckende Traube oder eine Maulbeere sein.

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1  Kommentar
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mitreden (28.669 Kommentare)
am 04.06.2017 12:22

Jedes Land beansprucht eine Koch als Weltbesten oder zumindest als Europas besten...Und sie alle kochen auch nur mit Wasser und Feuer.....

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