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"Besser Brücken bauen statt Mauern"

23.Juni 2015

Ase Kleveland war norwegische Kulturministerin, Chefin der Künstlergewerkschaft und Zeremonienmeisterin der Olympischen Winterspiele in Lillehammer. Große Bühnen ist die ausgebildete Musikerin gewöhnt: 1966 kam sie beim Eurovision Song Contest (ESC) in Luxemburg auf den dritten Platz.

Sie war die erste Frau, die auf einer ESC-Bühne Hosen trug.

Gestern trat die 66-Jährige im Haus der Europäischen Union in Wien auf – als Diskutantin, nicht als Sängerin. Song-Contest-Fachleute aus einem Dutzend Länder debattierten über den politischen und kulturellen Gehalt des Wettsingens. "Die populäre Musik spielt im Leben der Menschen eine große Rolle, und der Song Contest ist immer auch eine nationale Arena", sagte Kleveland. Besonders wichtig sei der Anlass für "kleine oder junge" Staaten: "Die Verschiedenheit dieser Darbietungen bringt uns ebenso weiter wie die Kontroversen, die es um die Veranstaltung gibt."

Eine "Europameisterschaft des Irrsinns" nannte der Deutsche Andreas Kern im Debattenmagazin "The European" das Wettsingen: "Bauchfreie Balkanbeauties, kaukasische Ethnopopper, russische Babuschkas, ukrainische Shakira-Klone, spanische Wuchtbrummen als Montserrat-Caballé-Verschnitt – Popkultur ist massenkompatibel.

Mit Symbolik gefüllt

Diese Vielfalt mag manchen verstören, sie ist aber eine Stärke des Events. "Alles ist mit Symbolik gefüllt", meinte Dean Vuletic, der Moderator der Diskussion. Das zeigt Österreichs Beispiel: 1968, zur Zeit des Prager Frühlings, wurde es vom tschechischen Sänger Karel Gott repräsentiert. Im Waldheim-Jahr 1986 entsandte der ORF die jüdische Sängerin Timna Brauer, im schwarz-blauen Jahr 2000 die Rounder Girls mit zwei Sängerinnen dunkler Hautfarbe.

Der Slogan 2015 ist "Building Bridges". Damit soll Conchita Wursts Botschaft "Toleranz über alle Grenzen hinweg" beim größten TV-Unterhaltungsevent der Welt weitergeführt werden.

"Besser Brücken bauen statt Mauern", sagte gestern eine Diskussionsteilnehmerin. Von einem "Signal und einem Gefühl für Gemeinsamkeit" sprach Klaus Unterberger; er leitet im ORF die Abteilung für den öffentlich-rechtlichen Mehrwert ("Public Value").

"Besser Brücken bauen statt Mauern"
Klaus Unterberger

Weit und breit kein Disneyland

Der Song Contest trage zum Image der teilnehmenden Staaten bei, so Unterberger; Conchita Wursts Vorjahressieg habe Österreich in der öffentlichen Wahrnehmung als tolerantes Land positioniert. Nachsatz: "Der ESC kann aber die Realität nicht ersetzen." Österreich sei "nicht Disneyland oder ‘Sound of Music’", es gebe Fremdenhass und Intoleranz. Wursts Sieg habe jedoch allen Leuten wenigstens einen Moment der Nachdenklichkeit beschert.

Gesellschaftlicher Wandel

Auf solche Effekte setzten Teilnehmer immer wieder. Zur Zeit der Mittelmeer-Diktaturen schwang in spanischen und portugiesischen Beiträgen oft Kritik an den Machthabern Franco und Salazar mit. Jugoslawische Sängerinnen ließen während des Tito-Regimes den Wunsch nach Freiheit anklingen. 2009 in Moskau trug Georgiens Beitrag den Titel "We Don’t Wanna Put In", ein Wortspiel mit Putins Namen. Die Europäische Rundfunkunion setzte das Lied ab. 2012 trällerte Montenegros Starter einen Anti-Euro-Song.

Eine bärtige Frau, die keine ist, wurde 2014 Botschafterin des gesellschaftlichen Wandels. "Europas Ende" prophezeite darauf der russische Nationalist Wladimir Schirinowski: "Vor 50 Jahren hielt die Sowjetarmee Österreich besetzt. Es freizugeben war ein Fehler, wir hätten bleiben sollen."

Doch das sind Rückzugsgefechte. Verschiedene sexuelle Orientierungen werden heute weithin akzeptiert, auch wenn der rechtliche Nachvollzug unvollständig ist. Amnesty-Generalsekretär Heinz Patzelt spricht von einem "rasant größer werdenden Teil der Bevölkerung, der kein Problem mit Homo- und Bisexuellen oder Transgender-Personen hat."

Sängerin im Rollstuhl

Nach dem Thema Sexualität geht es diesmal auf der ESC-Bühne um Menschen mit Behinderungen. Die Polin Monika Kuszynska ist seit einem Autounfall auf den Rollstuhl angewiesen; aus Finnland kommt eine Punk-Band, deren Mitglieder von Autismus oder Down-Syndrom betroffen sind.

Nicht alle wollen ihren Wiener Auftritt mit Bedeutung beladen. "Ich möchte, dass ich es schaffe, diese drei Minuten zu genießen", sagt etwa Deutschlands Vertreterin Ann Sophie: "Alles andere kann ich nicht beeinflussen."

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