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Nobelessen und Notnahrung

Von Roman Sandgruber, 17. September 2011, 00:04 Uhr

Die Oberösterreicher sind Kartoffelesser. Zum Schweinsbraten serviert man in Oberösterreich, anders als in Wien, immer auch Erdäpfel. Wie die Kartoffel zum Oberösterreicher wurde, ist eine lange Geschichte.

Das „Genussland“ Oberösterreich ist auch ein Erdäpfelland. 1621 verfasste der Abt des Klosters Seitenstetten Kaspar Plautz unter dem Pseudonym Honorio Philopono auf Latein eine kurze Darstellung der Fahrten des Christoph Columbus, die 1624 in Linz in einer deutschen Kurzfassung von Johann Plank gedruckt wurde. Das Buch, das sich mit den Sitten, Gebräuchen und Künsten der Bewohner in Amerika beschäftigt, enthält die erste Abbildung einer Kartoffelpflanze in Österreich mit einer recht ausführlichen Beschreibung und Anleitung zu ihrer Nutzung und Zubereitung.

Kaspar Plautz könnte sein Wissen von dem berühmten niederländischen Botaniker Carolus Clusius bezogen haben, der im Wiener botanischen Garten 1588 erstmals Kartoffeln in Österreich angepflanzt hatte. Obwohl vom Seitenstettener Abt 1621/24 bereits ein großer Teil der heute beliebten Kartoffelspeisen empfohlen wurden, dauerte es sehr lange, bis die Erdäpfel von der Bevölkerung akzeptiert wurden. Einige frühe Belege für Kartoffelgärten, etwa 1643 in Schloss Schwertberg, 1694 im Windhager Klostergarten, sind für mehr als hundert Jahre alles. Bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts waren Kartoffeln in Oberösterreich praktisch immer noch unbekannt.

Die Oberösterreicher wurden nur langsam zu Kartoffelessern, in den vielen Kriegen des 18. Jahrhunderts. Dass der Bayerische Erbfolgekrieg, der mit dem Anfall des Innviertels an Österreich endete, im Volksmund scherzhaft als „Kartoffelkrieg“ belächelt wurde, mag davon herrühren, dass dieser Herbstkrieg nicht länger dauerte als die paar Wochen der Kartoffelernte. Dass gerade der Bayerische Erbfolgekrieg 1778/79, der zur Abtretung des Innviertels an Österreich führte, häufig als Kartoffelkrieg bezeichnet wird, mag in Erstaunen setzen. Im Innviertel waren Kartoffeln um 1778 noch kaum bekannt und auch zur Zeit der Aufnahme des Franziszeischen Katasters um 1830 noch wenig genutzt und in der bäuerlichen Küche nur fallweise verbreitet. 1847 löste die Kartoffelfäule die irische Hungersnot aus. Auch in Österreich führte der fast völlige Ausfall der Kartoffelernten zu Teuerungen. Jeder der großen europäischen Kriege des späten 18. und beginnenden 19. Jahrhunderts, der Siebenjährige Krieg, der Bayerische Erbfolgekrieg (auch als „Kartoffelkrieg“ bezeichnet) und die Napoleonischen Kriege, förderten den Kartoffelanbau. Allgemein wird mit der Hungersnot von 1771/72 ein erster Durchbruch in Zusammenhang gebracht. Die Hungersnöte beschleunigten die Eingliederung in den Speiseplan. Die Kartoffel war relativ widerstandsfähig gegen Kriegszerstörungen: auf einem Kartoffelfeld konnte eine Armee ohne nennenswerte Folgen kampieren, während ein Getreidefeld, niedergetrampelt keine Ernte mehr erwarten ließ.

Dass die Bearbeitung der Kartoffeläcker im Hackbau erfolgte und hauptsächlich zum Aufgabenbereich der Frauen und Kinder zählte, verstärkte die Bedeutung der Frauen- und Kinderarbeit. Da der Kartoffelanbau wenig Boden, wenig Geräte und keine Zugtiere braucht, war er für Kleinhäusler sehr geeignet. Wegen des niedrigen Preises wurden Kartoffeln zum Hauptnahrungsmittel der frühen Industriearbeiterschaft: Die frühen Zentren der Industrialisierung, Flandern, das Zürcher Oberland, Vorarlberg, Schlesien oder Sachsen, waren auch frühe Zentren des Kartoffelanbaus, während in satten Agrarlandschaften die Neigung zur industriellen Betätigung und zum Anbau von Kartoffeln weit weniger ausgeprägt war. Die vielen Namen illustrieren die komplizierte Verbreitungsgeschichte der Kartoffeln: ob Erdtrüffel und Tartoffoli, ob Erdäpfel und Pommes de terre oder Erdbirnen und Kartoffeln. Das im östlichen Österreich übliche Wort „Grundbirnen“ wurde zu ungarisch „krumpir“.

Eine Auszählung der im deutschen Sprach- und Grenzraum vorkommenden Kartoffelbezeichnungen bringt mehr als 400 Varianten, von Apunen im Sudetenland bis Ziemniak in Polen. Es ist eine weit verbreitete Meinung, die Kartoffel hätte sich als Armennahrung quasi von unten nach oben, vom Viehfutter über die Unterschichten zu den Oberschichten emporgearbeitet. So einfach ist es nicht.

Als Nahrungsmittel traten sie zuerst im Umkreis der Städte auf, von Wien, München, Graz oder Salzburg. Auch in Oberösterreich übernahmen sie nicht die ärmeren Gebirgsgegenden zuerst, sondern die Dörfer in der Ebene rund um Linz. Zurück blieben die Eisenwurzen, das Ennstal und manche Regionen des Hausruckviertels. Auch im Innviertel waren Kartoffeln um 1800 noch selten oder gar nicht bekannt. Das ist nach den allgemeinen Regeln von Innovation und Diffusion nicht außergewöhnlich, widerspricht aber den herkömmlichen Meinungen von den Anfängen des Kartoffelkonsums. Kartoffeln nehmen bis heute zwei sehr gegensätzliche Positionen im Mahlzeitensystem ein: einerseits zeigten sie bürgerlichen Einfluss und belegten eine fortschrittlichere und gehobenere Esskultur, andererseits waren sie Zeichen extremer Not in der Kleinhäusler-, Armen- und Arbeiternahrung.

Die Kartoffeln waren die großen Verlierer des Wirtschaftswachstums. In Oberösterreich ist die Kartoffelanbaufläche seit dem 2. Weltkrieg ganz besonders stark zurückgegangen, von fast 30.000 ha auf etwa 1600 ha.

Aber die Kartoffeln sind weiterhin beliebt. Zahlreiche Zubereitungsarten konnten ihnen das Odium der Arme-Leute-Nahrung nehmen. Nicht nur in der Schale, als Brei oder mit Salz, sondern auch als Bratkartoffeln, mit Butter, Kräutern, Äpfeln, Gurken oder Schinken verfeinert, mit Butter, Eiern und Speck empfahlen sie bereits die Kochbücher des 19. Jahrhunderts.

Ob in der hohen französischen Kochkunst, à la Dauphin, à la Maire, à la Princesse, ob als Herzogin- und Annakartoffeln, oder als Pommes frites und Chips, als Knödel, Puffer und Kroketten, als Püree und Rösti: Kartoffeln sind vielfältig verwendbar und zubereitbar. Kartoffeln passten sich nicht nur dem steigenden Lebensstandard an, sondern ließen sich auch in der entstehenden Lebensmittelindustrie verwerten.

Verarbeitet zu Pulver und Flocken, ließen sich Fertiggerichte wie Püree, Knödel und Puffer komponieren, tiefgefroren, zu Frites und Kroketten, getrocknet zu Chips und Scheiben. Ihre Anpassungsfähigkeit hat sie zu einem Industrieprodukt gemacht, als Grundstoff für Alkohol und Stärke, als Fertigprodukt für die schnelle Küche und als Grundstoff für die Fast- Food-Ketten.

Erste Aufzeichnung

Extract u. Außzug der grossen und wunderbarlichen Schifffahrt des Buelii Cataloni,...welcher...mit Almirante Christophoro Columbo in Indiam Americam oder Newe Welt...geschiffet. Linz, Joh. Plank. 1624: erste Beschreibung der Kartoffeln in Oberösterreich.
Die Frucht der Pflanze, welche die Indianer Opanavuck, die Spanier aber Papas oder indische Bacaras nennen, ist süß nach Art von Mandeln, weiß und fest. Eine Menge davon hat bereits mein Hochwürdiger Herr Abt im Garten unseres Klosters. Er hat sie durch einen belgischen Gärtner aus Antwerpen erhalten. Es ist das eine Pflanze, die vom Erdboden bis zu einer Höhe von zwei Ellen und mehr emporwächst und weißrote Blüten trägt, welche nachher zu Früchten voll ganz kleiner Samen und von säuerlichem Geschmack ausreifen.

Die Wurzel aber breitet sich in der Erde in vielen Verzweigungen aus. Aus dieser Wurzel sprossen viele Knollen nach Art großer Kastanien. Diese Knollen dienen zu einer sehr köstlichen Speise, wenn du sie auf folgende Weise zubereitest: Siede diese Bacaras oder Papas in gewöhnlichem Wasser oder wickle sie in Papier und brate sie in Asche, bis sie weich werden; dann ziehe ihre rote Haut ab. Wasche es dann rein, dann erhältst du ein sehr weißes Fleisch, zerstoße es dann und mische etwas Zucker und Rosenwasser sowie Zimtgewürz bei, füge noch Butter hinzu, backe es, und wenn du es noch dicht mit Mehl bestäubst, dann hast du eine Torte oder ein Bescheidessen von königlichem Geschmack. Oder wenn du magersüchtige Menschen oder Schwindsüchtige heilen und dick machen willst, dann reinige diese Papas und koche sie mit dem Fleisch von Kapaunen, Hennen oder Hammeln.

Suppe und Brühe davon bilden eine sehr nützliche und heilsame Nahrung.“

Blumige Kartoffelrezepte in Krisenzeiten

In den Hungerjahren der beiden Weltkriege und der darauffolgenden Notzeiten standen die Erdäpfel im Zentrum der Aufmerksamkeit.

„Kartoffeln in der Früh, zu Mittag in der Brüh, zu Abend im ganzen Kleid, Kartoffeln in Ewigkeit.“ Die von den Behörden veröffentlichten Ratgeber druckten blumige Kartoffelrezepte ab. Da gab es duftige ‚Kartoffelflocken‘, getrocknete Scheiben, geriebene, gemahlene, zerstampfte, gedörrte Kartoffeln, und die Hausfrau erfuhr mit Entzücken und Rührung, was sich alles aus diesem wertvollen Nahrungsmittel herstellen lässt, das sie nicht besitzt. Werks- und Lagerküchen in Oberösterreich erhielten 1942 die Anordnung, keine roh geschälten Kartoffeln mehr zu verwenden, um Abfälle weitest möglich zu vermeiden. „In der Zeit der Not sollen Kartoffeln tunlichst nur in der Schale gekocht verwendet werden“, empfahl Franz Ruhm in seinem Nachkriegskochbuch „133 Kochrezepte für 1946“. 1946 hat ein erwachsener Mann in Wien durchschnittlich 143 kg Kartoffeln pro Jahr gegessen, 1985 nur noch 23,6 kg. Die Anbaufläche für Kartoffeln in Österreich ist von 1945 bis 2005 von mehr als 200.000 Hektar auf weniger als ein Zehntel gesunken.

 

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