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Immer die Wahrheit sagen

Von Von Alexander Ritzinger, 29. August 2009, 00:04 Uhr
Immer die Wahrheit sagen
Das empfehlenswerte Buch „Tage wie schwarze Perlen“ ist vergriffen. Friederike Kaltenberger wünscht sich eine Neuauflage, bisher fand sich erstaunlicherweise kein Verlag. Bild: hermann wakolbinger

Sie hält sich nicht für eine Schriftstellerin, obwohl sie mehrere Bücher verfasst hat. Jedenfalls ist Friederike Franziska Kaltenberger eine Aufklärerin. Sie ist Zeugin einer Zeit, in der Furchtbares geschah. Dieses Furchtbare ist so schrecklich, dass es nicht vergessen werden darf.

Es gibt ja die weit verbreitete und daher brandgefährliche Ansicht, dass man die alten Zeiten doch ruhen lassen möge. „Hört’s doch endlich mit diesen G’schichten auf“, sagte kürzlich der 73-jährige Erich zum 26-jährigen Stephan.

Der junge Mann teilte die Ansicht des Seniors ganz und gar nicht. Weil es bei den „alten G’schichten“ eben nicht um ständig wiedergekaute Schuldzuweisungen geht, sondern um Feinfühligkeit und Aufmerksamkeit. Um das Bewusstsein, dass sich Horror-Zustände wie in der Zeit des Nationalsozialismus zwar kaum deckungsgleich wiederholen werden, aber eben prinzipiell immer wieder möglich sind. Nämlich dann, wenn wir achtlos sind und auf die Abgründe im Menschen vergessen.

Was passiert, wenn man das tut, hat Friederike Franziska Kaltenberger am eigenen Leib, an der eigenen Seele erfahren müssen. Darum ist sie jahrelang in die Schulen gegangen und hat der Jugend darüber erzählt. Und Bücher geschrieben. Eines davon heißt „Tage wie schwarze Perlen“ und ist genau genommen das Tagebuch einer jungen Frau, aufgezeichnet zwischen 1942 und 1945.

Friederike war 16, als sie begann, sich tägliche Notizen zu machen. Auf losen Zetteln, auf Papierfetzen: Alltägliches, Berührendes, Unfassbares. Diese Bruchstücke überlebten den Krieg und die schwere Zeit danach in einer Schachtel. Erst 1977 begann Kaltenberger damit, daraus einen zusammenhängenden Text zu formulieren.

Der Beweggrund hatte einen erzieherischen Aspekt: Die Aufzeichnungen waren zunächst an ihre beiden Töchter gerichtet. Wenn die das eine oder andere Mal unzufrieden mit ihrem Leben waren, sollten sie nachlesen können, welcher gnadenlosen Härte ihre Mutter als junge Frau ausgeliefert war. Dort steht etwa:

Anfang September 1944, im Linzer Bahnhofsviertel

„Achtung! Zeitzünder!“, schrie ein Mann in Feuerwehruniform und drang gleich darauf in ein Haus ein, aus dessen Parterrefenstern das gellende Geschrei einer Frauenstimme erscholl. In den Straßen herrschte ein unbeschreibliches Durcheinander. Autokolonnen fegten dahin, schwere Militärwagen, voll mit Soldaten, die Spaten und Schaufeln in den Händen hielten, Feuerwehrautos rasselten vorbei, dazwischen laufende, hastende, weinende und fragende Menschen, Mütter, die Augen randvoll mit Angst, verlaufene Kinder, Greise mit schlohweißen Haaren...

Ende Oktober 1944, nach einem Bombenangriff in Linz

„So hören Sie doch, es ist vorbei! Die Bomber sind weg!“ Aus dem stillen Gesicht kam keine Antwort. Da zerrte ich sie hoch. Sie war schlaff und plumpste zurück, als ich sie plötzlich fallen ließ: Sie war tot! Ich starrte sinnlos auf sie herunter, auf das marmorweiße Gesicht, auf die dunkel befransten Lider, auf den Riesenfächer der ausgebreiteten Haare – und auf die beiden feinen Streifen roten Blutes, die sich aus den Mundwinkeln herabzogen und im Ausschnitt des Kleides versickerten. Schön sah sie aus – so unversehrt – bis auf die Lungen, die der Luftdruck zerrissen hatte...

Eine Begegnung mit KZ-Häftlingen bei Kriegsende

Da hatten sie mich bemerkt. Einer kam auf mich zugesprungen und riss mich am Arm herum. Wir starrten einander an. Der Mann hatte kein Gesicht. Es war ein Totenkopf. Fahl und fleischlos, die brennenden Augen tief eingesunken, der Schädel kahl geschoren. Mit einem Schlag war meine Angst weg. Stattdessen fühlte ich siedend heißes Mitleid. Ich wollte reden zu ihm. „Du!“, drängte es mich zu sagen, „du Mensch! Verzeih, was sie dir angetan...“ Ich sagte es nicht. Denn der Mann begann plötzlich zu lachen. Ein lachender, ein grinsender Totenkopf, dem das erlittene Grauen noch aus den Augen schrie.

Frau Kaltenbrunner sitzt in ihrem liebevoll dekorierten Zimmer im Seniorenheim in Pregarten. Die 83-Jährige ist klein, trägt zu einem blauen Leiberl einen bunt geblümten Rock. In ihren braunen Augen ist ein energisches Blitzen. Sie erzählt aus den vergangenen Zeiten, die in ihrem Gedächtnis wie aus dem Heute geschnitzt sind. Von ihrem Bruder, der als 20-Jähriger irgendwo in Russland fiel. Von ihrem Vater, der kurz vor Kriegsende tödlich getroffen wurde. Von den schweren Verletzungen ihres späteren Mannes... Vom Gestank, der in der in der Luft über Mauthausen lag.

Woher kam der?

„Das wussten wir nicht. Aber für uns galt ohnehin der eiserne Grundsatz: Frage nicht, kritisiere nicht. Denn das war lebensgefährlich.“

Was war damals besser als heute?

„Der Zusammenhalt, die Hilfsbereitschaft, das Teilen. Das scheint heute völlig verloren gegangen zu sein.“

Sie schrieben Bücher, hielten Vorträge in Schulen. Warum?

„Weil es so wichtig ist, die Wahrheit zu sagen.“

Der 26-jährige Stephan weiß das. Erich sollte darüber einmal gründlich nachdenken.

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