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„Demokratiepolitischer Super-GAU“

Von Von Lukas Luger   07.Februar 2009

OÖN: Sie schreiben in Ihrem Buch „Februar 1934 in Oberösterreich“, der 12. Februar 1934 sei endgültig in der „Abstellkammer des politischen wie historischen Diskurses“ gelandet. Lohnt es sich überhaupt, 75 Jahre später, diesen Abschnitt der Vergangenheit zu thematisieren?

Weidenholzer: Auf jeden Fall. Nicht immer ist es gut, wenn etwas im stillen Kämmerlein verschwindet. Im Falle des Februars 1934 lohnt es sich speziell, ganz besonders genau hinzuschauen.

OÖN: Warum?

Weidenholzer: Was in den Jahren 1933 und 1934 passiert ist, war der größtmögliche demokratiepolitische Super-GAU. Sämtliche demokratischen Institutionen des Staates kollabierten.

Kepplinger: Wie konnte eine Verfassung, auf der unsere heutige Verfassung ja zu einem Großteil basiert, plötzlich nicht mehr funktionieren? Das ist die entscheidende Frage.

OÖN: Der Bürgerkrieg war der Höhepunkt verschiedener politischer und sozialer Konflikte in der Ersten Republik. Welche Faktoren führten ab Ende der 1920er-Jahre zur Beseitigung des demokratischen Systems in Österreich?

Kepplinger: Parlamentarische Kräfte und Verfechter von antidemokratischen Konzepten standen sich in der Ersten Republik gegenüber. Letztere wollten die Konflikte des Parteienstaates überwinden – sei es nun in Richtung Ständestaat, in Richtung Monarchie oder in Richtung des nationalsozialistischen Führerstaates. Der endgültige Todesstoß für den Parlamentarismus in Österreich war schließlich die Verschränkung von ökonomischer und politischer Krise im Zuge der Weltwirtschaftskrise.

Weidenholzer: Die Sozialdemokraten waren in dieser Zeit in Österreich die einzige demokratische Partei. Und selbst diese schielte mit einem Auge auf ihre Vision von einer sozialistischen Gesellschaftsordnung. Die Februarkämpfe 1934 waren der Endpunkt einer langen Entwicklung und gleichzeitig der Anfang einer neuen Epoche.

OÖN: Inwiefern unterschied sich die damalige politische Situation in Linz beziehungsweise in Oberösterreich mit ihrem konsensorientierten „oberösterreichischen Klima“ von jener im Bund?

Weidenholzer: Die politischen Lager in Oberösterreich und Linz waren nicht so unheilbar zerstritten. Ein Beispiel: Die oberösterreichischen Christlichsozialen wurden im Volksmund als „Geselchte“ bezeichnet – außen schwarz und innen rot. Ein treffender gastronomischer Vergleich. Denn die hiesigen christlich-sozialen Politiker standen – trotz großer Unterschiede zum sozialdemokratischen Lager – immer auf dem Boden der parlamentarischen Demokratie.

Kepplinger: Trotzdem fuhr man auch in Oberösterreich keinen politischen Kuschelkurs. Man hat sich nichts geschenkt. Aber eines war für die Politiker bei uns, egal aus welcher Partei, auf jeden Fall klar: Alle politischen Auseinandersetzungen müssen im Rahmen der Verfassung ausgetragen werden.

OÖN: Welche Rolle spielte die katholische Kirche in dieser turbulenten Zeit?

Kepplinger: Die katholische Kirche war ihrem damaligen Selbstverständnis nach berechtigt, aktiv in das politische Tagesgeschehen einzugreifen. In den Christlichsozialen sah man einen Bündnispartner. Die Kirche war sicherlich eine Verfechterin der Idee des Umbaus des politischen Systems in unserem Land. Weg vom Parlamentarismus hin zu einem katholischen „Ständestaat“, einer „wahren“ Demokratie, wie der Priesterpolitiker und Bundeskanzler Ignaz Seipel das formuliert hat.

OÖN: Warum herrscht über die Bewertung dieser Phase der Geschichte der Republik Österreich bis heute kein politischer Konsens?

Weidenholzer: Jedes politische Lager hat seine eigene Geschichte, seine eigenen Mythen entwickelt. Die Sozialdemokraten sehen in den Kämpfen von 1934 in erster Linie eine Auflehnung gegen ein totalitäres System; die Volkspartei streicht die Verteidigung der staatlichen Eigenständigkeit Österreichs gegenüber Hitler-Deutschland durch den „Ständestaat“ hervor.

Kepplinger: Aus Staatsraison, und um keine alten Wunden aufzureißen, hat man nach 1945 nie wirklich versucht, einen lagerübergreifenden Konsens zu schaffen. Wichtig ist: Die Februarkämpfe 1934 waren der Höhepunkt einer Entwicklung, in deren Folge eine Demokratie unterging, die mit den gleichen Bausteinen gebaut ist wie die heutige Demokratie der Zweiten Republik.

Weidenholzer: Studiert man die Ereignisse in der Zeit 1933 bis 1934, so erfährt man vieles über die Mechanismen, mit denen eine Demokratie ausgeschaltet werden kann. Das kann helfen, demokratiefeindliche Tendenzen zu erkennen.

OÖN: Kann man Lehren aus dem „Februar 1934“ ziehen?

Weidenholzer: Die Geschichte ist ein Schatz, von dem die Gesellschaft lernen kann. Demokratie ist Kompromiss. Es gibt keine Alternative, auch wenn der Parteienzank als unangenehm empfunden wird.

Kepplinger: Wir stehen ähnlich wie vor 80 Jahren an der Schwelle einer wirtschaftlichen Krise. Es wird zu beobachten sein, wie die politischen Akteure in so einer Situation mit Demokratie und Rechtsstaat umgehen.

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