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Umi, owi, aufi: Wo im Dialekt der Weg hinführt

Von Manfred Wolf   18.August 2018

Ein deutscher Tourist steht gefährlich nahe beim Weidezaun. Sie wollen ihn warnen und schreien: "Geh dauna!" Selbst wenn ihn bei einer Berührung ein Stromschlag erzittern ließe, er würde es dennoch nicht verstehen. Das liegt zum einen an der trennenden gemeinsamen Sprache und zum anderen daran, dass in der Standardsprache nicht für jedes Mundartwort ein passendes Äquivalent gefunden wurde. Schon die Mönche klagten vor Jahrhunderten beim Übersetzen lateinischer Texte über die "Widerborstigkeit des Deutschen", wie es Sprachforscher Stephan Gaisbauer vom Stifterhaus beschreibt.

"Am Anfang der gemeinsamen deutschen Standardsprache hat es große Defizite gegeben", sagt Gaisbauer. Es fehlte an deutschen Wörtern. Bei Hauptwörtern ist dies noch nicht augenscheinlich. "Nominales gehörte zum Alltag. Dass Teile des Pfluges Übersetzungen haben, ist demnach sachlich begründet", sagt Gaisbauer. Warum allerdings bei Lage- und Richtungsadverbien ein Defizit besteht, kann er nicht erklären. Die neuhochdeutsche Gemeinsprache hielt in Österreich Ende des 18. Jahrhunderts mit der Schulpflicht langsam Einzug. "Offenbar war das System der dialektalen Orientierungsadverbien wie ‚dauni‘, ‚zuwi‘ … so ausgefeilt, dass ein adäquater Transfer in die Standardsprache nicht gelang."

So weit, so einfach. Unser deutscher Freund kann nun ahnen, was das Wort "dauna" bedeutet. Doch er will es genau wissen. "Geh von dannen", wäre wohl die exakteste Übersetzung. Denn im Wort "dauna" stecken das mittelhochdeutsche Wort "dannen" sowie "her" – also von dannen her. Beides wurde durch lautmalerische Verschleifung – das "von dannen" zum "daun" und das "her" zum "a" – zu "dauna".

Gemein wäre es gewesen, hätten Sie eingangs "Geh zuwi!" gerufen. Allerdings hätte er Sie eben so wenig verstanden. Denn "zuwi" hat sich aus "zu etwas hin" gebildet. Das "i" drückt aus, dass sich der Rezipient "hin" zu etwas Bestimmtem bewegen soll. Auch hier handelt es sich um eine Verschleifung von "hin" zum "i".

Dialekt, Sprache

Und jetzt bitte g’schlacht weiter

Das "i" und das "a" in den mundartlichen Richtungsadverbien geben also die Richtung an, in die sich jemand bewegen soll – "i" für hin, also weg, und "a" für her. Zusätzlich implizieren beide Mundartwörter – im Gegensatz zu einer adäquaten standarddeutschen Übersetzung – ein bestimmtes Objekt, also ein Haus, einen Zaun ...

Nun hat es unser leidgeprüfter Tourist wohl halbwegs verstanden. Also steigern wir die Aufgabe und schicken ihn g’schlacht nach vorne und dann zwergst übern Acker. "G’schlacht?" Ja. Dieses Wort kommt vom mittelhochdeutschen "geslaht" (wohlgeartet, edel, schön) und, so vermutet Gaisbauer, hat die Bedeutung "gerade" im Zusammenhang mit dem Wachstum von Holz (gerade gewachsen, schlagreif) entwickelt. Und "zwergst" heißt nichts Anderes als quer. Allerdings hat sich das nordostdeutsche Dialektwort "quer" gegenüber "zwergst" in der Standardsprache durchgesetzt.

Wesentlich einfacher ist es zum Glück mit "obi/owi" und "aufi/affi". Beides orientiert sich am Verlauf der Flüsse. Je nachdem, wo man wohnt, fährt man dem Fluss folgend also "owi" oder "auffi".

Kompliziert wird es wieder, wenn Wörter unterschiedlicher Bedeutung ähnlich ausgesprochen werden. Der Wiener Schriftsteller Karl Kraus hat dies in seinem Monumentalwerk "Die letzten Tage der Menschheit" dargestellt. Im Stück über den Ersten Weltkrieg unterhalten sich ein deutscher und ein österreichischer Soldat. Während der Deutsche vom Oberbombenwerfer spricht, also dem Chef der Bombenwerfer, blickt ihn der Österreicher verdutzt an und fragt: "Entschuldige, wirfst du nicht auch Bomben oba? Also bist du doch auch ein Obabombenwerfer."

Während sich dieses Problem wohl kaum lösen lässt, besteht für "dauna" Hoffnung. Nicht nur wegen der Konditionierung deutscher Touristen. Sprache ist lebendig und ändert sich ständig. Sie nimmt immer neue Begriffe auf und andere verschwinden. Vielleicht besteht für "dauna" noch Hoffnung.

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20. April 2024