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Ist Linz eine Nazi-Stadt?

Von Gastkommentar von Roman Sandgruber   25.März 2009

Das Linzer Kulturhauptstadtprogramm widmet der NS-Zeit sehr viel Aufmerksamkeit. Nahezu ein Zehntel aller Projekte beschäftigt sich mit dem Nationalsozialismus. Doch der erhoffte Effekt wird nicht erreicht: Statt der erwarteten Reputation verfestigt sich in der internationalen Aufmerksamkeit das Bild von der „Kulturhauptstadt des Führers“ und von Linz als „Nazistadt“. Und im Inland wird statt der angestrebten Aufklärung und Reflexion bei der Jugend der Anteil rechter Wählerstimmen mit Sicherheit zunehmen statt abnehmen.

Was läuft da schief? Linz und Oberösterreich haben sich in der jüngeren Vergangenheit in der Aufarbeitung der Hypotheken, die der Nationalsozialismus hinterlassen hat, mit wissenschaftlichen Projekten und praktischer Arbeit, etwa in Hartheim, viel Anerkennung erworben. Im Aktionismus der Kulturhauptstadt wird da viel Porzellan zerschlagen.

Die oberösterreichische Forschung am Landes- und Stadtarchiv und an der Universität wurde bereits im Vorfeld mit den von ihr eingereichten Projekten recht brüsk ausgeladen, wie der Autor auch aus eigener Erfahrung bestätigen kann. Stattdessen wurden Kräfte aus Wien, Graz, Berlin etc. herbeigeholt.

Man wolle eine polemische, provokative Geschichte, heißt es in der Begründung für ein „Geschichte-Buch“, das die Kulturhauptstadt-Intendanz auf Deutsch und auf Englisch herausgebracht hat und dessen Inhalt dem Impressum zufolge nicht von Fachhistorikern, sondern vom künstlerischen Intendanten Martin Heller und vom kaufmännischen Geschäftsführer Walter Putschögl verantwortet wird und von nicht namentlich zeichnenden Autoren verfasst wurde.

Man wolle zwar nicht „die Aufarbeitung von Geschichte neu erfinden“. Aber man wolle laut Klappentext „die vereinfachenden Antworten zugunsten facettenreicher individueller Standpunkte hintanstellen“, was auch immer diese verkorkste Formulierung bedeuten mag.

Man unterstellt, die Wissenschaft würde vereinfachende Antworten geben, und gibt gerade deswegen auf dem Weg über die Kultur die wirklich vereinfachenden Antworten.

Intendant Martin Heller schreibt in der Einleitung zum Katalog der Ausstellung „Kulturhauptstadt des Führers“: „Bereits unser Versuch, eine Kulturhauptstadt auf diesem historischen Territorium konsequent spielerisch auftreten zu lassen, führt weit über die postmoderne Ironie einer wesenhaft hybriden zeitgenössischen Kultur hinaus.“ Teil dieses von Heller propagierten spielerischen Umgangs ist auch das Wortspiel von der „Kulturhauptstadt des Führers“, das keinerlei historische Entsprechung hat und das für so viele Missverständnisse in der internationalen Presse die Wurzel bildet.

Ein anderes Beispiel: Man sprüht vor 65 Häusern der Stadt Hinweise auf die NS-Zeit auf das Straßenpflaster und übersieht die fatale Wirkung dieser denunziatorischen Praxis, die sich in Einzelfällen auch über die bestehenden Datenschutzgesetze krass hinwegsetzt. So wird etwa der Name eines damals elfjährigen Mädchens, auf dessen Aussage hin eine Nachbarin wegen Hörens von Feindsendern angezeigt wurde, mit einem vom Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstands zur Verfügung gestellten und nicht ordnungsgemäß anonymisierten Akt im zugehörigen Internet-Führer voll erkennbar an die Öffentlichkeit gezerrt.

Erfüllungsgehilfe der NS-Zeit

Eine Zusammenschau der Aussagen, die in dem offensichtlich für den internationalen Besucher gedachten „Geschichte-Buch“ aneinandergereiht werden, muss bei jedem nicht so genau orientierten Leser den Eindruck erwecken, Linz und die hier waltende Politik seien immer noch Erfüllungsgehilfen der NS-Zeit. Die beiden Löwenfiguren würden immer noch vor dem Bahnhof stehen. Die „Brucknerhalle“ sei schon im Konzept des nationalsozialistischen Linz gestanden. Das neue Musiktheater werde auf wenige Meter genau an jener Stelle errichtet, die auch Hitlers Stadtplanung für das Gebäude vorgesehen habe.

„Ein Umstand, der viele ratlos macht“, folgern die Autoren: „Wird durch diese Platzwahl im Nachhinein ein Plan Hitlers realisiert? Sollte ein durch Hitlers Ideen ‚kontaminierter’ Raum nicht erst recht durch neue Funktionen besetzt werden?“, wird angemerkt.

Selbst der Kefermarkter Flügelaltar muss herhalten, weil er mit Zyklon B, demselben Gift, das in Auschwitz eingesetzt worden sei, behandelt und damit gerettet worden sei. „Wie geht man mit diesem Faktum um?“, fragen die Autoren. Und das AEC sei an genau dem Platz gebaut, der ein Treffpunkt der von den Nationalsozialisten verfolgten Roma und Sinti gewesen sei.

Es würde ermüden, in dieser Aneinanderreihung von der „Aphrodite“ über die „Hitlerbauten“ bis zu den „Zerstörten Erinnerungen“ weiter fortzufahren. Reich an grauenerregenden Superlativen sei die Linzer Geschichte, so die Zusammenfassung im „Geschichte-Buch“. Die Besonderheit, die Linz unter den österreichischen und deutschen Gemeinden hervorhebe, sei „die Intensität in besonderer Wirtschaftlichkeit, Grausamkeit und Begeisterung“ in der NS-Zeit.

Linz09 erliegt der Versuchung, dabei das rechte Maß und den objektiven Blick zu verlieren. Die „Kleinstadt Linz sei erst durch die enthusiastisch aufgenommene Industrieanlage der Hermann Göring Werke zu einem bedeutenden Wirtschaftsstandort“ geworden. Linz ist wie ganz Deutschland und ganz Österreich mit seiner nationalsozialistischen Vergangenheit verbunden, aber nicht mehr und nicht weniger als andere. Von den zuletzt über sechshunderttausend Beschäftigten des Hermann-Göring-Konzerns arbeiteten weniger als zwanzigtausend in Linz. Zweifellos war für Linz ein gigantisches Bauprogramm geplant.

Doch derartig überdimensionierte Bauprogramme gab es für die meisten Städte bis hinab zu „Kleinststädten“ wie Rohrbach oder Haslach. Und es gibt einige Städte im Reich, wo sehr viel mehr verwirklicht wurde als in Linz.

Man wird nicht wirklich einen Bereich finden, wo Oberösterreich tatsächlich „nationalsozialistischer“ war als andere Regionen, weder in der Zahl der Parteimitglieder, die in Oberösterreich niedriger war als im österreichischen Durchschnitt, noch in der Industrieansiedlungspolitik, weder im Ausmaß des Jubels noch im Ausmaß des Terrors.

Graz unterschied sich da überhaupt nicht von Linz, und in Wien müssten die aus Wien kommenden Kuratorinnen nicht 65 „Stencils“ auf den Boden sprühen, sondern allein 60.000 vor den dort geraubten jüdischen Wohnungen und noch einmal 30.000 vor geraubten Betrieben und Villen, und auch vor den 42 Synagogen und Bethäusern, die allein in Wien beim Novemberpogrom 1938 verwüstet und niedergebrannt wurden und an die es kaum mehr eine Erinnerung gibt, während die Linzer Synagoge in großartiger Form wieder aufgebaut ist.

Es ist wichtig, Geschichtswissen mit ausgewiesener Sachkenntnis, aber auch mit dem nötigen ethischen Verantwortungsbewusstsein aufzuarbeiten und auf eine didaktisch geeignete Weise zu verbreiten. Aktionen und Provokationen, die nur dem „Event“ dienen und nur die internationale Medienindustrie füttern, haben hier keinen Platz und sind in den Ergebnissen klar kontraproduktiv.

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