Was ist beim Sex eigentlich normal?

Von Claudia Riedler   23.April 2014

Sexualität gehört zu den elementarsten Grundbedürfnissen des Menschen – genauso wie Schlafen, Essen und Trinken", sagt Primar Anton Tölk, Psychiater und Psychotherapeut sowie Leiter des Psychotherapeutischen Instituts in der Landesnervenklinik in Linz. Er schätzt, dass etwa 50 Prozent aller Menschen in irgendeiner Weise eine sexuelle Störung aufweisen. Genaue Zahlen gibt es nicht, nur Dunkelziffern. Bei den Störungen unterscheidet man zwischen Funktionsstörungen wie etwa Erektions- oder Orgasmusproblemen und Paraphilien, das sind abnorme Sexualpraktiken wie etwa der Exhibitionismus oder Masochismus oder die sexuellen Aktivitäten mit Greisen, Leichen oder Kindern. "Zudem gibt es auch Störungen der Geschlechtsidentität, etwa die Transsexualität", sagt Tölk. "Diese innere Gewissheit, dass das Geschlechtsbewusstsein nicht mit dem biologischen Geschlecht übereinstimmt, ist entweder angeboren oder entsteht ganz früh in der Kindheit."

Wie entwickelt sich gesunde Sexualität? "Wichtig ist, sich von den Eltern oder Bezugspersonen angenommen zu fühlen. Man muss sich auch in seiner Geschlechterrolle beim jeweiligen Elternteil oder bei nahen Verwandten positiv spiegeln können", erklärt der Psychiater. Um sich später beim Sex hingeben zu können und auch orgasmusfähig zu sein, brauche es Selbstbewusstsein. "Und dazu muss man sich auch selbst gefallen." Ab wann man in der Entwicklung vom Kind zum Jugendlichen von Sexualität sprechen könne, sei eine heikle Frage und wird von Wissenschaftern nicht einhellig beantwortet. "Für mich beginnt sie in der Pubertät, wenn die Lust reift, mit anderen Menschen in sexuellen Kontakt zu treten."

Problematisch werde es, wenn "man mit seiner Sexualität keine Zufriedenheit erreichen und auch den Partner nicht zufriedenstellen kann. Wenn man Tabugrenzen überschreiten muss, um befriedigenden Sex zu erleben". Es gebe aber einen großen Graubereich zwischen gesunder und krankhafter Sexualität. In Ordnung sei es dann, wenn alle Beteiligten einverstanden sind und beim Sex keine größeren Verletzungen passieren. "Besonders Kinder und Menschen in Abhängigkeitsverhältnissen müssen unbedingt vor sexuellen Übergriffen geschützt werden", so der Psychiater.

Menschen mit Paraphilien konsultieren meist erst dann einen Arzt, wenn sie Probleme mit dem Gesetz oder im sozialen Umfeld bekommen. "Wenn man für die Störung ein Bewusstsein entwickelt und etwas verändern möchte, dann sind die meisten Paraphilien auch behandelbar", sagt Tölk. Weil abnorme Praktiken auch mit einer erhöhten Libido einhergehen können, sei es sinnvoll, mit Medikamenten den Sexualtrieb zu hemmen. In einer Psychotherapie könne man lernen, wie man sein Verlangen in den Griff bekomme und ein weitgehend normales Leben führen könne.

 

Sexualstörungen

Fünf Prozent der Menschen leiden unter Paraphilie, schätzt Primar Anton Tölk. Er hat auch folgendes Wörterbuch zusammengestellt:

Paraphilie: sexueller Drang nach einem unüblichen Sexualobjekt oder nach unüblicher Art sexueller Stimulierung.
Oft treten mehrere Störungen gleichzeitig auf.

Abnorme Sexualobjekte

Gerontophilie: Spezialisierung auf Greise als Sexpartner
Nekrophilie: Sexualität mit Leichen oder Leichenteilen
Sodomie: sexuelle Aktivität mit Tieren
Pädophilie: sexuelle Handlungen mit Kindern
Koprophilie/Koprophagie: sexuelle Erregung durch Umgang mit Kot
Urophilie: sexuelle Erregung durch Umgang mit Urin

Abnorme Praktiken

Sadismus: sexuelle Befriedigung durch physisches Quälen des Partners
Masochismus: sexuelle Befriedigung durch Schmerzerleiden, Akt der Demütigung
Exhibitionismus: öffentliche Zurschaustellung der Genitalien gegenüber einem nichtsahnenden Fremden
Frotteurismus: sexuelle Befriedigung durch engen Körperkontakt (Reiben, Drücken, Anschmiegen an andere)
Fetischismus: sexuelle Befriedigung durch den Gebrauch lebloser Objekte, zum Beispiel weibliche Unterwäsche
Voyeurismus: sexuelle Befriedigung durch Beobachten von Intimitäten anderer
Erotophonie: sexuelle Befriedigung durch obszöne Telefonanrufe