Bolt ist der Supermann, Lemaitre der Zerbrechliche
Europas Leichtathletik ist auf einen neuen Wunderknaben stolz. Der 20-jährige Franzose Christophe Lemaitre lief über 100 Meter in 10,11 Sekunden zu Gold. Die OÖNachrichten plauderten mit seinem Trainer Pierre Carraz über Usain Bolt und warum Lemaitre faul und zerbrechlich ist.
OÖN: Wo tauchte Christophe Lemaitre zum ersten Mal auf?
Carraz: Ein Freund von mir hat in Schulen Probeläufe veranstaltet. Einmal war er in einer kleinen Stadt Frankreichs, in Annecy, und hat Kinder über 50 Meter gestoppt. Nicht einmal auf Bahnen, lediglich auf Kopfsteinpflaster. Mein Freund sagte mir dann: „Wow, der Kleine hat was drauf, den musst du dir anschauen.“ Da war Christophe 14 Jahre alt. Er ist über die 100 Meter 11,80 Sekunden gelaufen, ein paar Wochen später waren es nur noch 11,40.
OÖN: Was trauen Sie Ihrem sportlichen Ziehsohn noch alles zu?
Carraz: 9,9 Sekunden und ein paar Hundertstel dazu. 9,95 müssten heuer noch zu erreichen sein.
OÖN: Klingt vorsichtig. Vor allem, wenn man Usain Bolts Leistungskurve betrachtet – der Weltrekordler war als 20-Jähriger über 100 Meter nicht so schnell, wie es jetzt Lemaitre ist.
Carraz: Man muss auch vorsichtig sein mit Prognosen, Christophe ist sehr verletzungsanfällig. Er ist zerbrechlich, auch weil er bei Dehnungsübungen immer faul gewesen ist. Er kämpft immer wieder mit Adduktorenproblemen. Und wir wissen: Ein Faserriss bedeutet einen Monat Ruhe. Er studiert ja nebenbei, und somit bleibt wenig Zeit für Physiotherapie. Um 17 Uhr endet das Studium, um 18 Uhr steht er schon im Stadion. Das ist eine völlig andere Welt als bei anderen Athleten. Aber wir wollen das künftig doch ein bisschen verändern (grinst, Anm. d. Red.).
OÖN: Worin liegt der Unterschied zu Usain Bolt?
Carraz: Bolt ist der Supermann, der Supermensch. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Christophe eines Tages noch so einen Leistungssprung macht. Da kannst du alle möglichen Kurvenzeichnungen von Weltrekorden aufstellen, die du willst. Usain ist ein Wildtier, das auf der Bahn wütet. Das ist Christoph nicht.
Lesen Sie mehr über Christophe Lemaitre im „Mensch des Tages“ auf Seite 4.
