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„Unser tägliches Brot schenke man uns heute!“

Von Klaus Buttinger   05.Oktober 2019

Das System ist krank. 2,65 Milliarden Tonnen Getreide wurden 2018 weltweit geerntet, mehr denn je zuvor. Doch weniger als die Hälfte davon dient als Lebensmittel für Menschen. Der große Rest wird zu Tierfutter, Sprit und Industrierohstoffen verarbeitet. Und so kommt es, dass unser Ernährungssystem eine der Hauptursachen für den Klimawandel, das Artensterben, für Umweltverschmutzung, Wasserknappheit, Armut und Ungerechtigkeit ist. Seit elf Jahren steht amtlich fest, dass es so nicht weitergehen kann. Der Weltagrarbericht, für den 400 Wissenschafter im Auftrag der UNO die Landwirtschaft weltweit analysierten, hielt fest: Nur klein strukturierte Biolandwirtschaft könne aus der Krise führen. Doch die Ernährungswende gestaltet sich schwierig, die Konzentration auf dem Agrarsektor gefährde mittlerweile sogar die UN-Nachhaltigkeitsziele, besagt der „Konzernatlas“ renommierter NGOs.

In Österreich sieht die Sache so aus: Heuer, in einem guten Durchschnittsjahr, wurden rund 2,9 Millionen Tonnen Getreide (ohne Mais) geerntet, 5 Millionen Tonnen inklusive Mais. 700.000 Tonnen Getreide gehen direkt oder indirekt in die menschliche Ernährung. 200.000 Tonnen macht allein das Braugetreide aus. Der Bio-Anteil an der Gesamtackerfläche ist seit dem Vorjahr um 29.641 Hektar auf 20 Prozent gestiegen; ein Rekord.

Geschuldet ist dieses Plus zum Großteil der vorerst letzten Möglichkeit für Landwirte, in die Bio-Förderung einzusteigen. Dieses Fenster ist für die nächsten zwei bis drei Jahre zu. „Das muss neu verhandelt werden“, fordert Gertraud Grabmann, Bäuerin und Bundesobfrau von Bio Austria: „Uns wäre es lieber, wenn Landwirte hier jederzeit einsteigen könnten.“ Ihr Verein zur Förderung des biologischen Landbaus will mehr als die 25 Prozent Fläche, die derzeit biologisch bewirtschaftet werden. „Wir haben uns das Ziel gesetzt, 35 Prozent biologische Landwirtschaft bis 2027 zu erreichen. Von der Agrarpolitik wollen wir, dass Anreize geschaffen werden, damit die gesamte österreichische Landwirtschaft mehr in diesem Bereich produzieren und auch Einkommen erwirtschaften kann – aus ökologischen Leistungen im Bereich Boden, Wasser, Tierhaltung und Klima“, sagt Grabmann. Sie ist sich sicher: „Der Spielraum dafür in der Politik ist gegeben.“

Nachhaltige Ernährung gefordert

Die FAO (Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen) hat kürzlich in Wien verlauten lassen: In den letzten 20 Jahren sei die Welt erfolgreich ernährt worden, in den kommenden Jahren müsse sie auch nachhaltig ernährt werden – im Sinne des Ressourcenschutzes. Der Bio-Landbau sei dafür ein Schlüssel. „Um ungefähr 25 Prozent produziert eine Biolandwirtschaft klimaschonender, weil sie prinzipiell keinen Kunstdünger verwendet und auf Sojaimporte aus Südamerika verzichtet sowie flächengebundene Tierhaltung betreibt“, erklärt Grabmann, erwähnt aber auch: „Fast ein Drittel unserer Lebensmittel wird verschwendet.“ Hier gelte es Ernährungsgewohnheiten zu verändern, etwa weniger Fleisch zu essen, dafür hochwertigeres.

Ressourcenschonendes Essen

Die Gesellschaft wolle „ ressourcenschonend erzeugte Lebensmittel haben“, meint Grabmann. Dafür müsse sich die Politik einsetzen mit einer „Verdoppelung der Mittel für Agrar- und Umweltmaßnahmen auf nationaler Ebene und für alle Landwirte“. Das sind zum Beispiel Aktionen für Umweltschutz, Tierwohl oder Biodiversität: Blühstreifen anlegen oder Hecken pflanzen etc.“

Bio ist nach wie vor der am stärksten wachsende Lebensmittelbereich. Der Handel verzeichnete jüngst eine Steigerung von 100 Millionen Euro auf 1,9 Milliarden Euro. Auf dieser Welle mögen auch das Bundesheer und die Uni-Mensen mitschwimmen, regt Grabmann an. In den Supermärkten wäre das Biosortiment in Breite und Tiefe ausbaufähig. Und ein großes Potenzial verortet sie in einer „biozertifizierten Gastronomie; ein ehrlicher und transparenter Weg.“

 

Fragen der Gerechtigkeit

 

Berg- und Kleinbauern sehen sich auf dem richtigen Weg und fordern von der Politik die Unterstützung ihres Kurses in Richtung Nachhaltigkeit.

 

Für die Österreichische Berg- und Kleinbauern-Vereinigung (ÖBV) ist klar: Eine umweltverträgliche und zukunftsfähige Landwirtschaft, die gesunde Lebensmittel produziert, braucht nicht weniger, sondern mehr Bäuerinnen und Bauern! Die ÖBV gehört zur weltweiten Bewegung „La Via Campesina” (spanisch: Der bäuerliche Weg), die gegen konzerngesteuerte Globalisierung eintritt. Vorsitzender der ÖBV ist Johann Kriechbaum (49), der mit Gattin und sieben Kindern auf einem 34 Hektar großen Bio-Hof in Pfaffing (Bezirk Vöcklabruck) lebt.

Fragen der Gerechtigkeit
Johann Kriechbaum, ÖBV

OÖNachrichten: Was produzieren Sie?

Kriechbaum: Unser Bio-Hof, mit dem wir vor einem Jahr in die Selbstvermarktung eingestiegen sind, ist auf Milchproduktion ausgelegt, plus Grünland und Ackerflächen – ein Teil davon für Speisegetreide zum Brotbacken. Die Rückmeldungen der Leute, die bei uns einkaufen, sind gut, und das erfüllt uns. Unsere Richtung ist jene, die von den Leuten gefordert wird.

Was ist der Vorteil von kleinen Betrieben?

Hier herrscht noch mehr Vielfalt. Viele kleine Bauern sind Selbstversorger und haben einen Hausgarten, sie halten ein paar Hühner und Schweine und bewirtschaften ihre eigenen Flächen. Bei Großbetrieben bleibt zu viel auf der Straße. Vorteilhaft ist auch der Einsatz leichterer Maschinen, die den Boden weniger verdichten und weniger Lärm machen. Meist wird auch die Artenvielfalt erhalten, Stichwort Insekten. Laut Weltagrarbericht produziert die kleinstrukturierte Landwirtschaft die Lebensmittel für die Menschen und nicht die Agrarindustrie.

Aber was wäre, wenn jeder ins Auto steigen und zum Direktvermarkter fahren würde?

Wir liegen verkehrsmäßig ganz gut, rundum ist Siedlungsgebiet, die Leute fahren hinter unserm Hof in die Arbeit, unser Hofladen liegt quasi auf dem Weg. Die Leute bleiben kurz stehen und können einkaufen von halb sieben in der Früh bis halb acht am Abend und auch am Wochenende.

Wie argumentieren Sie für die Fleischproduktion?

In Österreich haben wir 70 Prozent Grünland, vor allem extensives Grünland, etwa Almen, wo Ackerbau nicht möglich ist. Hier passiert durch Wiederkäuer eine wertvolle Veredelung, denn mit Gras können wir Menschen nichts anfangen. Milch und Fleisch auf diesen Flächen zu produzieren ist sinnvoll. Leider nimmt Grünland auch immer mehr ab, durch Umpflügen oder durch Verwaldung – und da vor allem in den extensiven Lagen. Der Waldzuwuchs im vergangenen Jahr betrug circa 4000 Hektar. Die Produktion wandert immer mehr in die intensiven Gunstlagen. Auch BirdLife hat mit dieser Entwicklung wenig Freude, denn damit gehen viele Räume für die Artenvielfalt verloren. Darum ist es wichtig, die Höfe am Berg und in den extensiven Lagen zu erhalten.

Wie lautet Ihr Wunsch an die Politik?

Die Agrarförderungen gehören gerecht verteilt. Laut Grünem Bericht und anderer Quellen kassieren 12 Prozent der Betriebe 80 Prozent der Förderungen. Und jetzt schaut es gerade wieder so aus, dass die österreichische Politik bei den Förderungen für Nachhaltigkeit – für Heumilch-, Bio- oder Bergbauernbetriebe und für extensive Tierhaltung – wieder den Sparstift ansetzen will. Wobei ein Milch produzierender Bergbauer nie mit den Betrieben in Gunstlagen mithalten kann.

Warum ist es so schwer, hier zu mehr Gerechtigkeit zu kommen?

Für die Wirtschaft sind wachsende, große und intensiv wirtschaftende Betriebe interessanter. Die kaufen Dünger, große Maschinen und erweitern ständig Stallgebäude. Doch der richtige Weg muss wieder zurück zu den kleinen Strukturen gehen. Uns fehlen auch die kleinen Schlachthöfe. Und wenn Höfe und gewerbliche Betriebe verschwinden, beginnt auch die Abwanderung. Der Kunde will verstärkt Produkte von lokalen Bauern und nicht von großen Betrieben, die fünfmal mähen und x-mal Gülle ausfahren.

 

Belastungsgrenzen überschritten

Von Michael Rosenberger

Die Menschheit steht am Abgrund. Vier von neun Belastungsgrenzen unseres Planeten sind erreicht oder überschritten: Die Kreisläufe von Phosphor und Stickstoff sind aus dem Ruder gelaufen. Ein Drittel aller Tier- und Pflanzenarten ist vom Aussterben bedroht. Die Klimaerwärmung schreitet ungebremst voran. Und die Qualität unserer Böden verschlechtert sich von Tag zu Tag. An allen vier Grenzüberschreitungen ist die Landwirtschaft wesentlich beteiligt – bei uns in den Industrieländern, aber auch dort, von wo wir Südfrüchte, Kaffee und Futtermittel für das Vieh importieren. Ohne eine schnelle und radikale Ökologisierung der Landwirtschaft richten wir unseren Planeten zugrunde.

Belastungsgrenzen überschritten
Dr. Michael Rosenberger

Zugleich hat die Entwicklung der letzten Jahrzehnte die Landwirtschaft in eine fatale Abwärtsspirale getrieben. Immer mehr Höfe sterben. Immer weniger Betriebe produzieren immer mehr und sehen sich gezwungen, aus jedem Hektar das Maximum herauszuholen. Immer teurere Maschinen und Betriebsmittel werden gekauft, die oft zu einer hohen Verschuldung der Höfe führen. Die Burn-out-Rate unter Bäuerinnen und Bauern ist dramatisch im Steigen.

Um aus dieser für Mensch und Natur tödlichen Entwicklung herauszukommen, bedarf es des Zusammenwirkens von Politik, Landwirtschaft und Konsumenten.

Politik: Die Agrarförderungen der Europäischen Union und der Republik Österreich müssen weit mehr als bisher für ökologische Maßnahmen gegeben werden: Für die Pflege einer vielgestaltigen Landschaft. Für den Erhalt von Hecken und das Anlegen von Blühstreifen. Für den Verzicht auf den vierten oder fünften Schnitt der Wiesen. Für die deutliche Reduktion der Düngung und vieles mehr. Zugleich würden steigende Transportpreise, wie sie sich aus der derzeit diskutierten Bepreisung von Kohlendioxid ergäben, den Druck der globalen Lebensmittelmärkte verringern.

Landwirtschaft: Solange sich die Landwirtschaft vor allem als Mengenproduzentin versteht, wird sie keine Zukunft haben. Der größere Teil der Wertschöpfung entsteht nicht in der Produktion, sondern in der Verarbeitung von Lebensmitteln. Wo Höfe einzelne Rohprodukte weiterverarbeiten und aus Milch Käse herstellen, aus Kräutern ein Pesto oder aus Obst einen Obstler, eröffnen sich deutlich bessere Verdienstspannen. Allerdings nur, wenn man sich in der Vermarktung zu Kooperativen zusammenschließt.

Konsumentinnen und Konsumenten: Kein anderes Segment des Handels steht unter einem so großen Preisdruck wie der Lebensmittelhandel. Das liegt einerseits daran, dass einige wenige große Ketten den Markt beherrschen. Andererseits aber auch daran, dass wir Verbraucherinnen und Verbraucher auf jedes Billigangebot wie elektrisiert reagieren. Wenn wir ein neues Auto kaufen, darf es schon mal tausend Euro mehr kosten. Wenn wir Lebensmittel kaufen, feilschen wir hingegen um jeden Cent. Und merken gar nicht, dass den Letzten in der Kette, den Bauern, die Hunde beißen. Nicht der Preis sollte also das erste Kriterium beim Essenseinkauf sein, sondern die ökosoziale Qualität eines Produkts: Ökologisch, regional, saisonal, fair und fleischarm – das müssten die „Big Five“ unserer Lebensmittelwahl sein. Und da haben wir noch viel Luft nach oben.

Dr. Michael Rosenberger ist Vorstand des Instituts für Moraltheologie der Katholischen Privat-Universität Linz und Umweltsprecher der Diözese Linz.

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28. März 2024