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Diät halten ist eine Verhaltensstörung

Von Von Christine radmayr   17.März 2010

Die Grenze zwischen Essverhaltensstörung und Essstörungen wie Magersucht, Ess-brechsucht und Binge Eating (Essanfälle ohne Erbrechen) ist fließend. Man schätzt eine Viertelmillion essgestörte Österreicher. Das Verhältnis Frau zu Mann beträgt 10 zu 1. Man geht davon aus, dass ein Drittel der 14- bis 15-jährigen Mädchen derzeit eine Diät machen. Die OÖN befragten die Psychiaterin und Psychotherapeutin Hertha Mayr zum Thema ver-rücktes Essverhalten.

OÖN: Warum machen so viele Mädchen und Frauen Diäten – auch solche, die es nicht nötig hätten?

Mayr: Viele Frauen haben eine verzerrte Körperwahrnehmung und fühlen sich zu dick. Medien, Mode und ein überzeichnetes Schlankheitsideal spielen eine Rolle. Für eine Essstörung müssen aber mehrere Komponenten zusammenkommen wie etwa eine genetische Disposition, geringer Selbstwert, Selbstabwertung, die Unfähigkeit, Gefühle angemessen auszudrücken und zu verarbeiten. Auch extremes Leistungsdenken kommt dazu.

Gefährdete Frauen haben das Gefühl, wenn sie dünner wären, würden sie mehr Anerkennung und Zuwendung bekommen. Dicke Menschen gelten landläufig als träge, weniger einsatzfreudig und würden laut Studien weniger Karriere machen. Schlanke Menschen werden eher mit positiven Eigenschaften in Verbindung gebracht.

OÖN: Wie ist Ihre Einstellung zum Thema Diät?

Mayr: Diäten sind seitens Essstörungsexperten nicht vertretbar, denn jede Diät ist eine Essverhaltensstörung, wenn auch noch keine Krankheit. Es gibt von der Expertenseite keine verbotenen Nahrungsmittel, auch Schokolade und fettes Fleisch sind erlaubt. Es kommt immer auf den Umgang und das Maß an. Ich bin gegen das Auslassen von Mahlzeiten und plädiere für ausgewogenes Essen zu regelmäßigen Zeiten. Keinesfalls soll das Thema Essen zum Lebensmittelpunkt werden. Wenn sich alle Gedanken um das Essen drehen, zeigt das eine Essstörung.

Für gefestigte Erwachsene sind aber Fasttage kein Problem. Wichtig ist das Motiv, das dahintersteckt. Bei Teenagern sollte Abnehmen und Diät kein Thema sein. Mütter, die extrem kalorienbewusst denken und essen und zu sehr auf ihr Aussehen bedacht sind, sowie Väter, denen Leistung über alles geht, sind schlechte Vorbilder.

OÖN: Woran erkenne ich eine Essstörung?

Mayr: Oft ist der Übergang zur Störung ein Prozess von Monaten. Essgestörte Menschen vernachlässigen ihre Bedürfnisse, Interessen und Sozialkontakte. Bulimikerinnen haben z. B. einsame Essanfälle und sporteln oft exzessiv. Anorektikerinnen zelebrieren das Essen von kleinsten Mengen wie einem Apfel oder sie essen in Gesellschaft kaum mehr. Sie meiden Fette und Kohlenhydrate, kauen an Salat ohne Marinade herum. Krank ist alles, was den Körper schädigt und zu Mangelerscheinungen führt.

OÖN: Kann Essen als Ersatzbefriedigung zu Übergewicht führen?

Mayr: Manche Menschen essen aus Langeweile, bei fehlender Liebe, um Spannungen, Stress und Frust abzubauen oder um Traurigkeit nicht zu spüren. Ein Mensch mit schwerem Übergewicht sammelt Abwertung und bekommt manchmal wenig Wertschätzung. Hat er keinen gesunden Selbstwert und nimmt Sticheleien persönlich, kompensiert er seinen Frust in dem er Süßes in sich hineinstopft. Essanfälle mit 4000 Kalorien sind keine Seltenheit. Mancher isst stundenlang dahin. Ist er satt, ist er zufrieden und getröstet; kurzfristig, weil dann sofort Schuldgefühle und Selbstabwertung kommen. Das ist ein Teufelskreis. Schwer Übergewichtige kommen selten in Therapie, wenn doch, wird am Selbstwert gearbeitet. Auch Genusstraining und das Lernen mit Gefühlen umzugehen, ist wichtig. Emotionen sollen ausgedrückt werden, statt Traurigkeit & Co mit Süßem in den Mund zu stopfen.

OÖN: Wie verhalte ich mich, wenn ich merke, jemand hat eine Essstörung?

Mayr: Den Betreffenden darauf ansprechen und Interesse zeigen, ohne ihn zu belehren. Bei Kindern und Jugendlichen sollen Eltern nichts verdrängen und sich beraten lassen, wenn sie nicht weiterwissen. Manche nehmen die Essstörung in Kauf, solange das Kind „funktioniert“, sprich gute Schulleistungen bringt. Sie sind sich meist nicht bewusst, dass ihr Kind ohne Therapie in Lebensgefahr geraten kann.

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29. März 2024