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Gratis-Musikbörse Internet: „Plattenfirmen sind selbst schuld“

Von Von Lukas Luger   12.August 2010

Schuld an der größten Umwälzung in der Geschichte der Musik-Industrie seit der Erfindung des Plattenspielers in den 1920er-Jahren ist Suzanne Vega. 1992 wandelten Techniker des Fraunhofer-Instituts im deutschen Erlangen das Stück „Tom’s Diner“ der bekannten US-Songwriterin in das damals brandneue MP3-Format um.

Plötzlich ist alles anders. Musik ist durch die hohe Kompressions-Rate handlich geworden. Die ganze Plattensammlung lässt sich auf einer handelsüblichen Festplatte speichern, bald auch auf portablen MP3-Playern im Hosensack überall mitnehmen. Die Online-Tauschbörse „Napster“ macht ab 1999 das Format über Computerfreak-Kreise hinaus bekannt (siehe Chronologie). „Gratis-Download“ wird zum geflügelten Wort, die Bereitschaft, für Musik zu bezahlen, sinkt. Physische Tonträger sehen sich zum Auslaufmodell degradiert. Die CD-Hüllen sind die Klarsicht-Särge der Musik, bemerkte die Süddeutsche Zeitung süffisant.

Klagen in Milliardenhöhe

Heute kommen auf einen legal gekauften Song 20 illegal kopierte, rechnet eine aktuelle Studie des Branchenverbands der Musikindustrie IFPI vor. In Deutschland sinken die Einnahmen aus dem Verkauf von Tonträgern wie CDs oder DVDs von 2,2 Milliarden Euro im Jahr 2002 auf 1,53 Milliarden Euro im Jahr 2009. Die Industrie reagiert. Nicht mit innovativen Geschäftsmodellen oder Preissenkungen, sondern mit Klagen und Schadenersatzforderungen in Milliardenhöhe.

„Die Plattenfirmen sind selbst schuld an ihrer Misere“, sagt Simon Wright, früherer Geschäftsfüher der Virgin Entertainment Group (Jahresumsatz: 20 Milliarden Dollar). Die Musikindustrie sei technologiefeindlich und jedem Fortschritt gegenüber misstrauisch. In der Tat: Um die Jahrtausendwende ist „Napster“ die einzige Möglichkeit, Musik aus dem Internet zu bekommen. Doch anstatt sich mit Napster-Gründer Shawn Fanning zu einigen und die Monopolstellung der beliebten Tauschbörse zur Etablierung eines legalen, für die Kunden akzeptablen Download-Angebots zu nützen, wird heftig prozessiert.

Mit kurzfristigem Erfolg („Napster“ wird geschlossen) und langfristigen Konsequenzen. 80 Millionen User wandern mangels dem Gesetz entsprechender Alternative zu anderen, illegalen Tauschbörsen ab. Es dauert zwei Jahre, bis mit dem „iTunes Music Store“ von Apple der erste große, legale Download-Shop seine virtuellen Pforten öffnet. In der Welt der Bits und Bytes eine halbe Ewigkeit. Hinzu kommt die mangelnde Kundenfreundlichkeit der Produkte: gekaufte Songs lassen sich nicht auf CD brennen, viele handelsübliche MP3-Player können die Downloads nicht lesen. Nur auf den teuren Abspielgeräten mit dem Apfel als Logo funktioniert alles problemlos.

Mittlerweile beginnt die Musikindustrie zu reagieren: der Kopierschutz auf Tonträgern und Downloads ist abgeschafft, mit dem Video-Portal „YouTube“ wurde eine Lizenzvereinbarung für Musikvideos getroffen, und beim Kauf des physischen Tonträgers gibt es vielfach die MP3-Variante zum Nulltarif gleich dazu.

Ob diese Maßnahmen die letzten Zuckungen einer sterbenden Industrie oder einen Neubeginn abseits rechtlicher Grauzonen symbolisieren, wird sich weisen. Eines ist klar: Die Konsumenten wollen Musik. Und das Internet hat sie mündig gemacht, darüber zu entscheiden, auf welchem Weg dies geschehen soll.

Werbung

Internetseiten wie www.we7.com könnten die Zukunft der digitalen Online-Musik darstellen. Hier kann der Musikfan kostenlos beliebig viele Songs als MP3-Dateien herunterladen. Jedem Song ist eine kurze Werbeeinblendung vorgeschaltet. Ansonsten ist die Nutzung der Musikdateien allerdings nicht eingeschränkt. Die Plattenfirmen und ihre Künstler partizipieren anteilsmäßig an den Werbeeinnahmen der Betreiber der Homepage.

Kulturflatrate

Verfechter einer Kulturflat-rate plädieren für eine gesetzliche Pauschalabgabe auf Internet-Anschlüsse, die an die Rechteinhaber digitaler Inhalte verteilt werden soll. Im Gegenzug soll dafür die öffentliche Verbreitung digitaler Kopien, beispielsweise in Filesharing-Netzwerken, legalisiert werden. Auf diese Weise könnte die Musikindustrie an Milliarden Songs, die jedes Monat heruntergeladen werden, finanziell mitschneiden, ohne die User ins kriminelle Eck zu stellen.

Radiohead-Modell

Das radikalste Konzept zum Vertrieb von Musik präsentierte im Dezember 2007 die britische Rockband „Radiohead“. Diese stellte ihr Album „In Rainbows“ auf der Band-Homepage zum Download bereit – den Preis konnten die Fans dabei selbst festsetzen. Immerhin zwei Drittel bezahlten freiwillig für die zehn neuen Songs. Das Modell fand bereits Nachahmer: Auch die „Nine Inch Nails“ und Rapper Saul Williams vertrieben Alben auf diesem Weg.

360°-Unterhaltung

Viele große Plattenfirmen spekulieren aufgrund sinkender CD-Verkäufe mit dem Umbau zu Musik-Entertainment-Unternehmen. In Zukunft werden Musikfirmen nicht nur Alben in den Handel bringen und Downloads online stellen, sondern auch Konzerte planen und abwickeln, Merchandising-Artikel produzieren und Werbeverträge abschließen. Im Branchenjargon nennt man diese Rundum-Betreuung „360°-Unterhaltung“. Die Musik wird dabei zur Nebensache.

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