Das verlängerte Leben des unverwüstlichen Kult-Kraxlers

Von Carsten Hebestreit   02.Oktober 2018

"Das ist der schwächste Antrieb", sagt unser Chauffeur auf der 30-Kilometer-Route zum Schöckl. Franz ist Testfahrer bei Magna in Graz. Sein Spezialgebiet: die Mercedes G-Klasse. Was Franz meint: Der Schwächste ist der 4,0-Liter-V8-Biturbo und der leistet 422 PS bzw. 600 Nm. Und beschleunigt die 2,4 Tonnen schwere G-Klasse in 5,9 Sekunden aus dem Stand auf Tempo 100. Höllenwerte? Mitnichten! AMG treibt die Anzahl der Pferde auf 585 und erledigt den Norm-Sprint in 4,5 Sekunden! Das sind Höllenwerte!

Der Ausflugsberg der Steirer

Schöckl: Das ist ein 1445 Meter hoher Berg südlich von Graz. Das kleine Massiv ist seit jeher in Besitz der gräflichen Familien Stubenberg. Sechs Restaurants laden hoch droben die vielen Wanderer, Mountainbiker und Ausflügler zu Speis und Trank ein, in einer Kabinenseilbahn lassen sich die 1000 Höhenmeter gemütlich überwinden.

"1974", sagt Franz, "durften wir das erste Mal hinauffahren." Freilich: Der private Berg steht unter Natur- und Landschaftsschutz. Magna bat und erhielt eine ersehnte Ausnahme. Der Fahrzeughersteller darf eine Testroute befahren. Fünf Kilometer über Stock, Stein und jede Menge Schotter. Von 780 auf 1400 Meter Seehöhe.

"Das hier ist nur zum Aufwärmen!", sagt der erfahrene Testfahrer. Zwei Fahrspuren, dazwischen wächst Gras. Die G-Klasse zeigt sich völlig unbeeindruckt und wankt nur bei größeren Felsen, deren Spitzen aus dem Boden ragen. "Das wird noch heftiger", sagt der Mann aus Trieben. "Viel heftiger."

Die Route hinauf bis kurz vorm Plateau dient als Härtetest für die G-Klasse. 2000 Kilometer muss jedes Modell während der Entwicklung hier abspulen. Jeder Testfahrer erklimmt fünf, sechs Mal pro Tag den Schöckl. Insgesamt sind 320 Aufstiege einkalkuliert. Danach wissen die Entwickler, welche Teile in Serie gehen dürfen – und welche verbessert werden müssen.

Das erste G-Modell forderte die Deutsche Wehrmacht an. Was Willy’s Jeep für die US-Streitkräfte war, sollte der G1 für die Wehrmacht werden. Geworden ist aus dem unverwüstlichen Allradler ein Welterfolg. Egal, ob Algerien oder Australien – die Armeen dieser Welt fahren auf den Grazer ab. Jüngst erst orderten die Schweizer mehrere tausend Stück vom Vorgängermodell. Ohne Schnickschnack, denn nur die Klettereigenschaften und die Zuverlässigkeit zählen.

35 Prozent Seitenneigung

"Schaut’s! 27 Prozent Seitenneigung", sagt Franz. "Geht aber bis 35 Prozent!". Und an der steilsten Stelle überwindet die Facelift-G-Klasse 52 Prozent. Aber auch da geht noch mehr, logisch. Ausschlaggebend für den Grip auch in Extrem-Situationen sind die drei Differenzialsperren: mitte, vorne, hinten. Alle einzeln zuschaltbar wie das Untersetzungsgetriebe auch. Im Slow-Modus leistet der V8 übrigens 1200 Newtonmeter (bis 85 km/h).

Selbst an den kniffligsten Stellen am Schöckl leistet sich der Mercedes kein Schwächen. Wieviele G-Klasse-Besitzer fahren eigentlich ins Gelände, ins schwere Gelände? "Wohl die wenigsten", sagt Franz. Das Augenmerk liegt auf dem Komfort. Und da hat der Gelände-Klassiker heuer mächtig zugelegt: Bedeutend mehr Platz, Leder, Widescreen-Infodisplay und vieles mehr. Da steckt viel E-Klasse drin. Das verlängert das Leben des schon ewig Totgesagten.

 

Mercedes G-Klasse

 

Seit 1979 verkaufte Mercedes 300.000 Stück von der G-Klasse. 80 Prozent davon sind noch heute unterwegs. Spezial-Modelle: Kompakt (G500), 6x6-Dreiachser (Australische Armee) und Maybach (Überdrüber-Luxus). Heuer launchte Mercedes das Facelift-Modell.