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Studieren im Häf’n geht nur mit Disziplin

Von Von Nora Bruckmüller, 20. Oktober 2009, 00:04 Uhr

LINZ. An Österreichs Universitäten studieren mehr als eine Viertelmillion Menschen. Was viele nicht wissen: Einige von ihnen sind in Haft und organisieren ihr Studium aus dem Gefängnis. Möglich ist dies seit dem Jahr 1975.

Eine gerichtliche Verurteilung kostete Hochschulabsolventen bis in die frühen Siebziger in Österreich unter Umständen die Freiheit – ganz sicher aber bestimmte akademisch erworbene Titel.

Die Strafrechtsreformen des damaligen SPÖ-Justizministers Christian Broda garantierten später nicht nur verurteilten Akademikern ihre Titel, sondern schafften ein Novum: 1975 konnte so erstmals aus der Rechtslage die Möglichkeit interpretiert werden, in Haft ein Studium zu beginnen.

Eine Chance, die heute immer mehr Inhaftierte nutzen wollen, wie Norbert Minkendorfer, Leiter der Justizvollzugsanstalt Garsten, den OÖN bestätigt. Minkendorfer begleitete den damals zu lebenslanger Haft verurteilten Helmut Frodl durch sein Theologie-Studium (siehe Stichwort).

Bloßes Interesse am Studium reicht aber auch im Strafvollzug nicht aus. „Studieren kann jeder. Der Häftling muss aber die Ernsthaftigkeit seines Studiums beweisen“, sagt Minkendorfer. Die erste Phase des Studiums ähnelt daher einem Fernstudium, bei dem sich der Häftling die Unterlagen selbst besorgt oder der soziale Dienst ihm diese überbringt. Erst später kann es dann zur Genehmigung von organisatorisch wichtigen Freigängen kommen, etwa um Prüfungen zu absolvieren. Zunächst in Begleitung von Justizbeamten, später von Sozialarbeitern und Zivildienern. Alleine kann der Häftling erst dann unterwegs sein, wenn eine bedingte Entlassung kurz bevorsteht, so das Justizministerium.

Narzisstische Motive

„Wir haben viele Durchläufer. Die Drop-out-Rate liegt bei etwa 90 Prozent“, sagt Minkendorfer. Er hält einen Lehrberuf für vernünftiger, denn im Handwerks- oder Informatikbereich könne im Berufsleben leichter Fuß gefasst werden als mit einem Studienabschluss – in Bereichen, in denen auch eher ein einwandfreier Leumund verlangt wird.

Warum beginnen Verurteilte trotz schwieriger Umstände letztlich doch ein Studium? Minkendorfer: „Motive sind Ehrgeiz, aber auch Beschäftigung. Rückwärts betrachtet verläuft die Zeit schnell, im Blick nach vorne scheint sie endlos.“ Pointierter drückt es Heidi Kastner, Gerichtspsychiaterin und Leiterin der forensischen Abteilung der Landesnervenklinik Wagner-Jauregg aus. Nach ihrer Erfahrung studieren Menschen im Strafvollzug „auch aus narzisstischen Motiven, um einen besonderen Status zu erlangen und sich von der Masse abzuheben“. Behaupten zu können, in Korrespondenz mit einem Universitätsprofessor zu stehen, liefere Futter für diesen Aspekt der Persönlichkeit.

Beim Studium der Rechtswissenschaften weist Minkendorfer darauf hin, dass der Häftling bei seiner Verhandlung mit Richter, Anwälten und der Rechtsmaterie in Berührung gekommen ist. Das Jus-Studium kann später das Gefühl vermitteln, hier dazu zu gehören und sich auszukennen. Wie viele Häftlinge ihren Worten aktuell gefolgt sind und tatsächlich studieren, lässt sich nicht feststellen.

Denn Vollzugsanstalten müssen laut Justizministerium das Studium eines Insassen nur dann melden, wenn für diesen ein besonderer Sicherheitsvermerk gilt, es sich um einen Sexualdelinquenten handelt oder die Haftstrafe eine gewisse Länge umfasst. „Ich schätze, dass es zehn bis fünfzehn Personen österreichweit sind“, sagt Minkendorfer. Zu finden sind diese in den größeren Vollzugsanstalten, wo mehrjährige Haftstrafen abgesessen werden, wie in Stein, Graz-Karlau oder eben Garsten. Minkendorfer betreut hier selbst aktuell einen Häftling, der in Wien Philosophie studiert. Neben Jus, Philosophie und Theologie gilt das Interesse immer wieder auch Wirtschaftsfächern.

Studium selbst finanziert

Belegt werden kann jedes Studium – solange es mit dem Haftalltag und der Persönlichkeit des Verurteilten vereinbar ist. Weil viele Präsenzstudien auf Anwesenheitspflicht aufbauen, weichen Häftlinge oft auf Fernstudien aus.

„Ein britischer Insasse hat einen Bachelor in Kunstgeschichte erworben, weil er über die Open University London ein Fernstudium begonnen hat. Die Prüfungen fanden an der Uni Wien statt“, sagt Minkendorfer. Da Englisch für diese Einrichtung eine Voraussetzung ist, hatte der Brite Vorteile, sagt Minkendorfer. Die Fernuniversität Hagen deckt den deutschsprachigen Bereich ab.

Häftlinge mit Hauptwohnsitz Deutschland können sich hier bei bestimmen Voraussetzungen von Gebühren befreien lassen – anders als an österreichischen Unis, wo dies kein eigenes Kriterium ist. „Für Häftlinge gibt es keine Sonderregelung bei Studienbeitrag und Studienbeihilfe. Es gelten dieselben Regeln wie für alle anderen“, sagt Elisabeth Grabenweger vom Wissenschaftsministerium. Einen besonderen Fördertopf gibt es in Österreich ebenso wenig. Interessanterweise wollen in Haft laut Minkendorfer aber weniger „die besseren Schichten“ studieren, sondern eher Menschen mit einfacheren Berufen.

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