Baukultur: Wie wir die Zersiedelung in den Griff bekommen können

Von Alexander Zens   14.Jänner 2017

Welche Rolle spielt Architektur in Oberösterreich? Wie können Projektentwicklung und Raumplanung verbessert werden? Welche positiven Beispiele gibt es? Diesen und noch mehr Fragen widmete sich der Runde Tisch, den die OÖNachrichten anlässlich des oberösterreichischen Architekturpreises "Daidalos" veranstalteten. Einig waren sich die Diskutanten, dass eine "Baukultur" etabliert werden soll. Über die Wege dorthin gab es teils unterschiedliche Ansichten.

Gemeindelandesrat Max Hiegelsberger räumte anfangs mit zwei Vorurteilen auf: dass Architekten teuer seien und man diese Leistung auch woanders zukaufen könne. "Das ist nur so, wenn man die Gesamtleistung nicht betrachtet." Denn diese stimme bei Architekten garantiert, wie man an der Qualität in Oberösterreich sehe.

OÖN-Architekturkritiker und Daidalos-Jurymitglied Tobias Hagleitner sagte, dass es Missverständnisse in der öffentlichen Wahrnehmung gebe, weil Architektur im öffentlichen Diskurs stehe, wenn es um spektakuläre Projekte gehe. "Architektur als selbstverständliche Leistung im Alltag gerät in den Hintergrund." Breiten Raum nahm die Diskussion über Planungsprozesse im öffentlichen Raum ein. Wie kann man Zersiedelung, Bodenversiegelung und Infrastrukturkosten reduzieren?

"Man muss viel größer denken, statt sich nur auf das einzelne Bauwerk zu beschränken", sagte Rudolf Kolbe, Präsident der Kammer der Architekten und Zivilingenieure für Oberösterreich und Salzburg. Die sozialen Strukturen sollten einbezogen werden. "Wie wird ein Gebäude genutzt, welche Auswirkungen hat der Bau auf das Umfeld, die Gesellschaft, die Mobilität?"

Der Spiegel der Gesellschaft

Die aus Linz stammende und international tätige Landschaftsplanerin Karin Standler betonte die "Ernsthaftigkeit der Lage": "Regionen sind in einem radikalen Transformationsprozess zwischen Abwanderung, Leerstand und flächenfressenden Neubaustrukturen." Sie kritisierte "aussterbende Ortskerne, während Einkaufszentren am Ortsrand entstehen, und die Förderung des Einfamilienhauses am Ortsrand, während Wohnungen im Ortskern leerstehen". Die Entwicklung gebe es seit 30 Jahren. "Warum kann man politisch nicht gegensteuern?", fragte Standler. Oberösterreich sei das am meisten zersiedelte Bundesland. Sie forderte, dass bei Bauprojekten und Raumordnung auf die "Planungskompetenz von Fachleuten" zurückgegriffen werde. Bürgermeister, die aus anderen Branchen stammten, brauchten Unterstützung.

"Jedes Bauen ist ein öffentlicher Akt, weil damit Lebensraum definiert wird", sagte Heinz Plöderl, Sektionsvorsitzender der Architekten in der Kammer: "Baukultur ist ein Spiegel der Gesellschaft. Wir müssen diskutieren, wie wir unsere Lebensräume und -mittelpunkte gestalten, um Zersiedelung hintanzuhalten. Es

braucht multifunktionale Raumordnungen."

Hiegelsberger sagte, dass ihm an dem Thema sehr viel liege. Darum habe er Architekturgespräche in den Regionen installiert, bei denen mit Bürgermeistern diskutiert werde. Entscheidend sei, dass Bauprojekte "gesamthaft betrachtet" werden. "Man braucht vor dem Bauen einen intensiveren Prozess, welche Auswirkungen das Projekt auf das öffentliche Leben hat." Hagleitner stimmte zu und schlug vor: "Dieser Prozess sollte gefördert werden."

Hiegelsberger betonte, dass man schon seit mehreren Jahren keine Einkaufsmärkte über 600 Quadratmeter mehr außerhalb von Ortszentren bauen dürfe. Von ihm gebe es keine Unterstützung, wenn eine Gemeinde ein Musikprobelokal auf der grünen Wiese errichten möchte. Außerdem sei Adaptierung von Bausubstanz langfristig oft günstiger als der schnelle Abriss. Ein Problem sei aber häufig die mangelhafte Verfügbarkeit von freien Flächen in den Kommunen. Plöderl betonte: "Es gibt einen massiven Widmungsüberhang." Der manifestiere sich aber in Brachflächen oder Leerständen. Nachverdichtung und Attraktivierung von Ortskernen seien große gesellschaftspolitische Herausforderungen.

Seit wenigen Jahren wird einer überregionalen Raumplanung in Oberösterreich das Wort geredet. Hagleitner: "Es kommt langsam. Vom Einzelprojekt weg hat sich nun die Meinung gefestigt, dass man die Gemeinde als Ganzes betrachten sollte." Es fehle aber noch die höhere Stufe – eine wirklich überregionale, unabhängige Standort- und Bedarfsanalyse. Diese solle Vorrang haben gegenüber Begehrlichkeiten einzelner Gemeinden und Investoren.

Kritik an Vergabepraxis

Für Kolbe hat sich vor allem im Wirtschaftsbereich mit den gemeinsamen Betriebsansiedlungsgebieten schon etwas getan. "Wir sind auf dem richtigen Weg." Und als positives Beispiel nannte er das Stadtentwicklungsgebiet Linz-Ebelsberg, bei dem erstmals in Oberösterreich ein "kooperatives Verfahren" durchgeführt wird. Dabei werden alle Stakeholder in die Planung einbezogen. Als Vorbildgemeinden für die Belebung eines Ortes und die Erstellung eines "Leitbildes" nannte Standler Haslach und Steinbach an der Steyr.

Ein anderes Thema, das den Ziviltechnikern am Herzen liegt, brachte noch Kolbe auf den Tisch: Öffentliche Stellen zeigten immer wieder "größte Kreativität, die Bestimmungen des Vergabegesetzes zu umgehen". Es gebe Direktvergaben statt Wettbewerbe weit über jeden Schwellenwert hinaus. Kolbe forderte mehr Transparenz und einen Vergaberechtsschutz in Form einer Verbandsklage.

Zitiert

"Man muss größer denken, statt sich nur auf das Bauwerk zu beschränken. Die sozialen Strukturen sollten einbezogen werden.“
Rudolf Kolbe, Präsident Ziviltechnikerkammer

"Regionen sind in einem radikalen Transformationsprozess zwischen Abwanderung, Leerstand und flächenfressendem Neubau.“
Karin Standler, Landschaftsarchitektin

"Es braucht vor dem Bauen einen intensiveren Prozess, welche Auswirkungen das Vorhaben auf das öffentliche Leben hat.“
Max Hiegelsberger, Gemeindelandesrat

"Jedes Bauen ist ein öffentlicher Akt, weil damit Lebensraum definiert wird. Wie gestalten wir diesen?“
Heinz Plöderl, Vorsitzender Sektion Architekten in der Ziviltechniker-Kammer

"Meist geht es um das Spektakel. Architektur als selbstverständliche Leistung im Alltag gerät in den Hintergrund.“
Tobias Hagleitner, Architekturkritiker und Daidalos-Jurymitglied

 

Oberösterreichs Architekturpreis Daidalos

Oberösterreichs Architekturpreis Daidalos
Die begehrten Daidalos-Trophäen werden heuer zum dritten Mal vergeben.

Wer? Eingeladen sind Architektur- und Zivilingenieurbüros sowie interdisziplinäre Projektteams. Der Daidalos wird in den Kategorien „Mutiges Experiment“ (Bauwerke) und „Freundlicher Freiraum“ (Ortsentwicklung) vergeben. Sonderpreis: „Gelungene Reparatur“ (Sanierung).

Was? Bauwerke, die in den vergangenen vier Jahren in Oberösterreich fertiggestellt wurden. Auch mehrere Projekte eines Büros sind zur Einreichung zulässig (je Projekt nur eine Kategorie).

Wie? Auf www.nachrichten.at/daidalos steht eine Online-Plattform zur Einreichung der Projekte bereit. Alle Details sind dort angeführt. Einsendeschluss ist der 20. Jänner 2017. Bei Fragen zum Daidalos schreiben Sie bitte an
daidalos@nachrichten.at.
Die Siegerehrung findet am 23. März 2017 in der Tabakfabrik Linz statt.

Die OÖNachrichten haben den Daidalos initiiert. Partner sind die Kammer für Architekten und Ingenieurkonsulenten, Energie AG Power Solutions, Hypo Oberösterreich, WAG, Land Oberösterreich und afo architekturforum oberösterreich.