Mehr Mut zum Experiment

Von Tobias Hagleitner   12.November 2016

"Experiment" in der Architektur? Futuristische Formen oder High-Tech-Wohnmaschinen kommen in den Sinn. Die Kategorie "Mutiges Experiment" beim OÖN-Architekturpreis Daidalos meint mehr: Bauwerke, die so sind wie Experimente der Wissenschaft. Gebäude als Versuchsanordnungen, um neue Kenntnisse zu gewinnen, um eine Theorie oder ein Produkt zu erproben, um die Entwicklung von Kultur und Zivilisation zu beleben.

Wer beim Bauen experimentieren will, wird schief angesehen. Schließlich ist bekannt, wie ein Haus konstruiert werden muss, damit es nicht zusammenbricht. Es gibt Normen und Standards. Es ist erprobt, welcher Grundriss funktioniert und überhaupt, wie alles günstig und vernünftig bleibt. So denken manche. Das wäre nicht ganz falsch, wenn Zeit und Gesellschaft immer dieselben blieben. Das Gegenteil ist aber der Fall. Die Veränderungen gehen flott voran – sozial, ökologisch wie technologisch. Gerade beim Bauen braucht es deshalb gewagte Projekte, die ergründen, welche Lebensräume künftig möglich sind.

Was sind solche Experimente? Denken wir zuerst an die ganz "normalen" Häuser, an Architektur zum Wohnen. Während sich Lebensformen immer mehr ausdifferenzieren, bleiben die Bauformen in überkommenen Mustern stecken. Die Wirklichkeit wird kaum berücksichtigt.

Es fehlt an attraktiven Ideen zur Verdichtung, an Wohnmodellen, die Gemeinschaft und Rückzug sinnvoll kombinieren, an Konzepten für Durchmischung der Funktionen in der Stadt. All das bräuchte es, um die ressourcenintensive Zersiedelung und die Unkultur des Einfamilienhauses einzudämmen (Beispiel im Bild: Wohnanlage Eppan in Südtirol von feld72).

Es braucht Vorzeigeprojekte

Voraussetzung ist die couragierte Zusammenarbeit von Politik, Verwaltung, Fachplanung und Architektur. Das gilt genauso für öffentliche Bauten, für die Arbeitswelt oder Bildungseinrichtungen.

Nur in klugen Experimenten kann erprobt werden, welche architektonischen Konzepte für aktuelle Ansprüche eigentlich geeignet sind. Für einen starken Wirtschaftsstandort wie Oberösterreich sind hier Vorzeigebeispiele besonders wichtig, und es gibt sie zum Glück gelegentlich (Beispiel: Schul- und Kulturzentrum Feldkirchen von fasch&fuchs, einer der Daidalos-Preisträger vor zwei Jahren).

Ungewöhnliche Techniken

Mut zum Experiment ist auch in der Bautechnik gefragt, bei der Arbeit der Ingenieure und Fachplaner. Umweltschonende Energiekonzepte, intelligente Konstruktionsmethoden oder raffinierte Tragwerke können Bauten von herausragender Schönheit hervorbringen und ungeahnte Wege in die Zukunft erschließen. Für die Materialwahl gilt Gleiches. Dank moderner Verarbeitung könnte auf traditionelle umweltverträgliche Baustoffe zurückgegriffen werden.

Häuser aus Stroh sind denkbar (beispielsweise in Vorarlberg von Georg Bechter) oder Industriebauten aus Lehm (z. B. Ricola von Herzog & de Meuron in Laufen). Die Möglichkeiten im Holzbau sind dank steter Innovation längst nicht ausgeschöpft. Im Massivbau mit Ziegel und Beton gibt es spannende neue Systeme, die nur angewandt werden müssten. Die verantwortungslose Praxis, Sondermüll als Dämmung aufzukleben, könnte Geschichte sein. Wichtig ist bei Experimenten, vorab die richtigen Fragen zu stellen. Nur dann ergeben sich erhellende Ergebnisse.

Beim Bauen heißt das, nicht einfach zu bauen, was gewollt wird, sondern zuerst gründlich nachzudenken, was gebraucht wird. Deshalb können das Gütesiegel "Mutiges Experiment" auch jene Projekte erhalten, denen ein besonderer Planungsprozess voranging, etwa intensive Bürgerbeteiligung, die gemeinsame Planung einer Baugruppe oder andere unkonventionelle Wege, neuen Raum zu entwickeln (mögliches Beispiel der Zukunft: kooperatives Planungsverfahren im Linzer Stadtteil Ebelsberg, derzeit in Vorbereitung).

 

OÖN-Architekturpreis Daidalos: Bewerbung